Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
herauszufinden, wie schlimm er sich an der Schulter verletzt hatte, waren jetzt wichtiger. Da er wusste, dass das letzte Zeichen von Zivilisation, an dem er vorbeigekommen war, mehrere Meilen hinter ihm lag, machte es keinen Sinn, dem Pferd zu folgen. Also fand er sich mit einem ungemütlichen Fußmarsch ab und brach in die entgegengesetzte Richtung des fliehenden Pferdes auf.
Wenn er vorher geglaubt hatte, dass es ihm schlecht ging, so musste er feststellen, dass er nicht gewusst hatte, wie viel schlimmer es noch werden konnte. Aber er lernte rasch hinzu. Der Matsch klebte an seinen Stiefeln, der Wind stürmte gegen ihn an, und der Regen fiel ohne Unterlass. Von der Gefahr, von einem umstürzenden Baum oder dem Blitz getroffen zu werden, ganz zu schweigen. Nachdem er sich vielleicht zwei Meilen weiter vorangekämpft hatte, hätte er das sogar beinahe begrüßt.
Er hatte gerade daran gedacht, im Wald Schutz zu suchen, als ihm mit einem Mal auffiel, dass er die Gegend hier kannte - vor allem diese halb tote knorrige Eiche am Straßenrand. Wenn er sich nicht irrte, gab es eine verlassene ehemalige Zöllnerhütte ein kurzes Stück voraus. Er stemmte sich mit gesenktem Kopf gegen den Sturm und ging weiter. Schließlich kam er um eine Wegbiegung, und seine Ausdauer wurde belohnt; durch den strömenden Regen erspähte er das Gebäude, das er gemeint hatte.
Die letzten paar Meter lief er und sank gegen die Tür, stieß sie auf und trat in das dunkle, leicht modrig riechende Innere. Beseligende Zufriedenheit machte sich in ihm breit. Es war egal, dass die Hütte kaum besser als ein Schuppen war; alles, was zählte, war, dass er den Elementen nicht länger auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Er schloss die Tür hinter sich, sperrte das Unwetter aus.
Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg durch das Gerümpel und den Unrat auf dem Boden, kam an einen Stuhl und ließ sich darauf sinken. Ein paar Minuten saß er einfach so da, ließ die Ruhe im Inneren nach dem Wüten draußen auf sich wirken.
Kalt und zitternd zwang er sich dann, sich zu bewegen. Ein Feuer war erst einmal das Wichtigste. Die alten Reisigbündel
auf dem Kamin waren trocken, und da er außer einer Pistole auch ein Feuerzeug in seiner Manteltasche bei sich trug, hatte er binnen kürzester Zeit ein zugegebenermaßen kümmerliches Feuer im rußgeschwärzten Kamin brennen. Das Reisig würde nicht lange vorhalten, daher opferte er rücksichtslos einen der Stühle, um das Feuer zu füttern.
Nachdem er sich zufriedenstellend darum gekümmert hatte, dass es etwas wärmer wurde, schaute er sich flüchtig im Raum um, entdeckte das Binsenlager mit den Lumpen darauf und merkte es sich als weiteres Brennmaterial. Wenn nötig konnten die Binsen dazu benutzt werden, das Feuer am Leben zu halten, und der Tisch und die restlichen Stühle natürlich auch - einen anderen Nutzen erfüllten sie ohnehin nicht.
Er streifte sich seinen durchweichten Reitmantel ab und breitete ihn über zwei Stühle, die er seitlich vor das Feuer rückte. Mit einer Hüfte gegen den Tisch gelehnt, zog er sich die Stiefel aus und die Strümpfe, wusste, dass sie unwiederbringlich ruiniert waren. Schulterzuckend überprüfte er, ob das Messer, das er stets versteckt in seinem rechten Stiefel trug, noch an Ort und Stelle war. Das Messer mit sich zu führen, hatte er sich angewöhnt, seit er von einem Auftrag für den Duke of Roxbury auf dem Kontinent um ein Haar nicht wieder heimgekehrt wäre. Nachdem er es gefunden hatte, steckte er es sich in den Bund seiner Hose und stellte seine Stiefel mit den Strümpfen darüber neben den Stuhl mit dem Reitmantel.
Auf dem noch übrigen Stuhl ließ er sich nieder, streckte seine Beine in Richtung Feuer und genoss die Wärme an seinen nackten Füßen.
Als er seine Schulter testete, stellte er befriedigt fest, dass es nur eine leichtere Verletzung war, die er sich bei dem Sturz
zugezogen hatte und die von selbst wieder verheilen würde. Er seufzte zufrieden, lockerte sein zerknittertes Halstuch. Nachdem er es abgelegt hatte, warf er es auf den Tisch und öffnete geistesabwesend auch noch die Verschnürung am Kragen seines feinen Leinenhemdes.
Alles, was ich nun noch brauche, dachte er schlaftrunken, ist eine heiße Hammelpastete, eine Flasche Port und ein williges Frauenzimmer. Er lächelte, der Kopf sank ihm auf die Brust, und dann überwältigte ihn der Schlaf.
Nells Vater und ihre Brüder kamen nicht so leicht zur Ruhe. Da sie London weit vor Julian
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