Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
einmal
abgesehen von ihrer Wirkung auf ihn, hatten ihre Gesichtszüge etwas Vornehmes. Ihre Haut war zu blass und zart, als dass sie unter schlechter Ernährung und den ungesunden Lebensumständen armer Menschen gelitten haben könnte. Sie hatte nichts Gemeines an sich. Sie war keine Wirtshausdirne, keine Bauernmagd und auch kein Milchmädchen. Sie strahlte etwas aus, eine Aura, den Eindruck guter Herkunft, der ihn verwirrte. Ihre Gestalt war zartgliedrig und ansprechend; das lange, dunkelblonde Haar schimmerte gesund und hatte auch keine Läuse, soweit er es sehen konnte.
Er zuckte die Schultern. Sie einfach anzustarren brachte ihn nicht weiter, auch wenn er es - zu seiner nicht unerheblichen Beunruhigung - ausgesprochen ergötzlich fand.
»Sie tun gar …?«, fragte er vorsichtig, griff den Gesprächsfaden auf.
Verwirrt starrte Nell ihn an. Sie benötigte einen Moment, um zu begreifen, dass er auf ihre abgebrochene Antwort vorhin anspielte. Rasch sammelte sie sich und entschied, so nah wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben.
»Das hier ist nicht mein Zuhause - ich wohne hier nicht«, erwiderte sie vorsichtig. »Vielleicht haben Sie ein paar Meilen von hier meine Kutsche gesehen. Die Pferde haben während des Unwetters gescheut und sich losgerissen. Mir blieb nichts anderes übrig, als hier zu warten, während mein Kutscher sich auf den Weg gemacht hat, Hilfe zu holen.« Das erklärte allerdings nicht, warum sie bei so schrecklichem Wetter und dazu in der Nacht unterwegs gewesen war, und außerdem noch in ihrem Nachthemd.
»Verstehe.«
»Das hoffe ich«, entgegnete sie und schaute ihn aus ihren reizenden Augen von oben herab an. Kühn erkundigte sie sich: »Und Sie? Wie kommt es, dass Sie hier sind?«
Er lächelte dieses unverschämt anziehende Lächeln. Zu Nells Missfallen wurden ihr die Knie weich.
»Ich«, gestand er, »bin ebenfalls ein Opfer des Unwetters. Mein Pferd ist durchgegangen, und ich habe hier Schutz gesucht. Leider habe ich nicht bemerkt, dass Sie bereits in diesem Unterschlupf waren.«
Sie nickte würdevoll. »Nun, solche Dinge geschehen. Wenn Sie mir ein paar Minuten Ungestörtheit gewähren wollen, suche ich meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg.«
»Werden Sie mir Ihren Namen verraten?«, fragte er mit hochgezogenen Brauen.
»N-n-nein, das ist nicht nötig. Wir sind Fremde. Belassen wir es dabei.«
»Davon halte ich nichts. Erlauben Sie mir, mich vorzustellen.« Er verbeugte sich. »Ich bin Julian Weston«, ihr nur seinen Familiennamen nennend, »und Ihnen stets zu Diensten.«
Sie wirkte unsicher, gelangte zu der Erkenntnis, dass er einer dieser Gentleman-Straßenräuber sein musste, von denen in den Zeitungen berichtet wurde. »Danke«, antwortete sie schüchtern. »Das wird aber nicht nötig sein. M-mein Kutscher muss jeden Moment zurückkommen. Sie sollten sich nicht aufhalten lassen.«
Von draußen drangen die Geräusche einer näher kommenden Kutsche zu ihnen, verliehen ihrer Behauptung Glaubwürdigkeit, aber Julian achtete nicht weiter darauf. Er wusste, dass er sich umdrehen und gehen sollte, aber das konnte er nicht. Sie war ein Rätsel, das er lösen wollte, und der Himmel war sein Zeuge, dass eben diese Neugier ihn schon oft in seinem Leben in Schwierigkeiten gebracht hatte.
Wider Willen fasziniert und obwohl alle seine Instinkte
ihm rieten, ihr den Rücken zu kehren, musterte Julian sie von Kopf bis Fuß, sah mit einem Lächeln ihre rosa Zehenspitzen unter dem arg in Mitleidenschaft gezogenen Saum ihres Nachthemdes vorlugen. Er fand diese schmutzigen Zehen ganz reizend und kam zu dem Entschluss, dass er verrückt war, zwang seinen Blick wieder nach oben. Er blieb auf dem kleinen, hoch angesetzten Busen ruhen, und er konnte einen Moment nicht wegsehen, von den laszivsten Gelüsten bedrängt. Schließlich riss er sich dennoch los und schluckte. Himmel! War er so lange nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen?
Er zwang sich, nicht länger dorthin zu schauen, und bemerkte: »Es wäre in höchstem Maße unritterlich von mir, Sie hier allein zu lassen.«
Nell hätte beinahe mit dem Fuß aufgestampft. »Ich versichere Ihnen, dass ich hier vollkommen sicher bin.«
»Wirklich?«, fragte er, sein Blick unwiderstehlich von ihrem Mund angezogen. »Ehrlich? Soll ich Ihnen einmal zeigen, wie wenig sicher Sie hier in Wahrheit sind?«
Ihre Augen wurden groß, als er nach ihr griff. Sie machte einen Satz nach hinten, aber ihr verflixtes Bein gab nach, gerade als seine
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