Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
beachtet. Es ist wirklich nicht verwunderlich,
dachte Nell, dass sie fröhlich wie die Vögel sind, denn schließlich liefert man ja nicht sie einem Fremden aus!
Sie hatte nicht gut geschlafen, und am Montag hatte sie erst weit nach Mittag ihr Schlafzimmer verlassen. Noch nicht einmal das Wissen, dass ihr Vater einen stämmigen Diener dazu abgestellt hatte, den Garten unter ihrem Zimmer gegen weitere Eindringlinge zu bewachen, hatte den Aufruhr in ihrer Brust zu besänftigen vermocht. Es waren keine Eindringlinge, die sie fürchtete, sondern die Zukunft. Und wenn sie aufrichtig sein sollte, so fürchtete sie den Earl of Wyndham auch nicht, sie wollte ihn bloß nicht heiraten.
Nell leugnete nicht, dass sie ihn attraktiv fand, sogar überwältigend anziehend, und es machte auch keinen Sinn, sich einzureden, er sei nicht eindrucksvoll - sogar wie sie ihn zuerst zu Gesicht bekommen hatte, unrasiert und mit zerknitterten, schmutzigen Kleidern. Und sie konnte auch nicht abstreiten, dass er als zukünftiger Gatte genau die Qualitäten mitbrachte, die sich eine vernünftige junge Dame und besonders auch ihre Angehörigen wünschen würden. Er stammte aus einer guten Familie, besaß einen Titel, und, was es noch schlimmer machte, sein Titel war alt und angesehen. In der Gesellschaft wurde er geachtet, und er war reich. Sehr reich.
All diese Dinge waren für ihren Vater und ihre Brüder wichtig. Sir Edward war entzückt, dass sie so eine ausgezeichnete Verbindung einging, selbst wenn sie auf eher ungewöhnliche Weise zustande gekommen war. Wenn sie fair sein sollte, musste sie einräumen, dass sie froh und dankbar sein konnte, dass sich Lord Wyndham als ehrenhaft erwiesen hatte. Und außerdem, gestand sie sich ein, konnte sie nicht behaupten, dass sie ihn abstoßend fand. Ganz im Gegenteil, wenn sie ehrlich mit sich selbst war, und sie musste wieder an das unerwartet aufregende Gefühl denken, das sie verspürt
hatte, als er sie an seinen harten Körper gedrückt und sein Mund dicht über ihrem geschwebt hatte.
Aber das alles hieß nicht, dass sie ihn heiraten wollte. Sie kannte ihren Vater gut genug, um ihn nicht gleich damit zu überfallen, noch hatte sie es ansprechen wollen, solange er und ihre Brüder noch ganz trunken vor Freude und Erleichterung über das gute Ende waren. Sie waren begeistert davon, dass ihre Schwester die Countess of Wyndham werden würde.
Obwohl sie das alles mit berücksichtigt hatte, war Nell von der Idee nicht angetan, dem Earl so holterdiepolter aufgedrängt zu werden. Eine Ehe wurde für ein ganzes Leben geschlossen, und es war der Rest ihres Lebens, über den alle so begeistert bestimmten. Sie war dem Earl dankbar, aber es musste doch noch einen anderen Ausweg geben als eine Heirat. Mit diesen Überlegungen im Sinn hatte sie gewartet, zu ihrem Vater zu gehen, bis Robert an diesem Morgen das Haus verlassen hatte. Nachdem sie ihn in der Bibliothek entdeckt hatte, verschwendete sie keine Zeit, ihn zu fragen.
Als Sir Edward sie verständnislos anschaute, wiederholte sie: »Muss ich ihn heiraten?«
»Nun, natürlich musst du das! Außer der Ungehörigkeit der Situation an sich und der Tatsache, dass die Humphries genau im falschen Moment gekommen sind - es steht auch in der Times!« Er starrte sie an. »Was stimmt mit dir nicht, Mädchen? Der Earl of Wyndham! Himmel, jede Mama mit Heiratsplänen für ihre Tochter ist hinter ihm her, seit seine Frau gestorben ist. Denk nur, meine Tochter ist diejenige, die ihn ihnen unter der Nase wegschnappt.«
»In der Times?«, erkundigte sie sich mit schwacher Stimme, und das Herz sank ihr. Sie nahm die ihr hingehaltene Zeitung ihrem Vater ab und las die kleine Mitteilung, während
alle Hoffnungen, die Ehe doch noch verhindern zu können, mit jedem schwarz gedruckten Wort verflogen.
Mit blassem Gesicht sank sie in den ochsenblutfarbenen Lederstuhl neben Sir Edward. Die Zeitung entglitt unbeachtet ihren Fingern.
»Es ist eine großartige Verbindung, meine Liebe. Eine, die dich froh und glücklich machen sollte«, erklärte ihr Vater sanft. »Das ist die Sorte Verbindung, wie ich sie mir für dich erhofft hatte.« Er machte eine kleine Pause, warf ihr einen eindringlichen Blick zu. »Nell, du weißt doch, dass mir dein Glück am wichtigsten ist, immer gewesen ist, und wenn ich auch nur einen Moment glauben würde, dass Wyndham dir ein gleichgültiger Ehemann wäre, dann wäre mir der Skandal gleich. Ich würde die Verbindung nicht unterstützen. Aber er
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