Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
habe die Sachen für die Nacht bereit gelegt und das bronzefarbene Kleid für heute Abend aufbügeln lassen.«
»Danke«, antwortete Nell und schlenderte rastlos durch den Raum. Ein Gefühl von Hilflosigkeit erfasste sie, und - trotz Wyndhams Verhalten und seiner Worte auf der Fahrt hierher - auch etwas Angst. Bei dem Gedanken an die vor ihr liegende Nacht war ihr nicht wohl. Sie war kein Kind und auf dem Land groß geworden - sie hatte das Decken ihrer Stuten seit ihrem sechzehnten Lebensjahr selbst überwacht -, sie wusste, was von ihr erwartet wurde. Der Earl - das wollte sie zugeben - war ein gut aussehender Mann. Sie war erleichtert, dass sie ihn nicht abstoßend oder widerlich fand, aber dem Vollzug der Ehe blickte sie nicht freudig entgegen. Er war sogar alles andere als abstoßend, sie musste nur an die Augenblicke in der Zollwärterhütte denken, kurz bevor ihr Vater und ihr Bruder sie unterbrochen hatten, und dann war da noch der Kuss … Vielleicht könnte sie, wenn er geduldig mit ihr war, ja doch etwas mehr Begeisterung für die Sache aufbringen.
Während Julian sich dafür fertig machte, Nell im Speisesalon zu treffen, musste er wieder an ihre Worte in der Kutsche denken, und er versuchte sich vorzustellen, was er wohl empfinden würde, wenn man ihm alles nahm, was ihm vertraut war. Selbst dieses Haus und seine Dienstboten waren zwar nicht seine eigenen, ihm aber doch gut bekannt. Für
Nell aber, von ihrer Zofe einmal abgesehen, war alles neu und fremd.
Sich zu seiner Braut auf eine Art und Weise hingezogen fühlend, wie er es nie für möglich gehalten hatte, wünschte sich Julian seine Hochzeitsnacht herbei. Aber er ahnte, dass Nell diese Vorfreude nicht teilte. Er besaß genug Vertrauen in seine Liebeskünste, um zu wissen, dass er heute Nacht, wenn auch nicht zu einem ungetrübten Vergnügen, so doch nicht über Gebühr unangenehm für sie machen konnte. Aber die Aussicht, eine widerstrebende Braut zu lieben, erfüllte ihn mit Unbehagen. Seine frisch angetraute Frau, das hatte er auf der Kutschfahrt erkannt, war immer noch nicht erfreut über die Hochzeit und entschieden misstrauisch gegenüber ihm und ihrer gemeinsamen Zukunft. Er lächelte reumütig. Soviel also zu seiner gehobenen Stellung in der Welt - und es freute ihn sogar, dass Nell sein Titel und sein Reichtum nicht sonderlich beeindruckten. Für die heutige Nacht hätte es alles allerdings leichter gemacht, wenn sie es wäre. Doch wenn er sich eine unterwürfige Braut vorstellte, die von seinem Titel und seinem Geld eingenommen gewesen wäre, die ihm erlaubte, die Ehe zu vollziehen wegen dessen, was er war, so fand er die Idee abstoßend. Er rief sich ihr trotzig gerecktes Kinn in Erinnerung und hatte keine Befürchtungen, dass Nell jemals ihm gegenüber unterwürfig sein könnte. Und er vermutete fast, dass es unwahrscheinlich war, dass er heute Nacht in ihrem Bett ihre entzückte Beteiligung erwarten durfte. Also wie, fragte er sich, konnte er das bekommen, was er wollte, ohne sie dabei noch argwöhnischer und unnahbarer zu machen, als sie es ohnehin schon war.
Es war Nell selbst, die sein Dilemma löste. Sie hatten beide nur wenig von dem köstlichen Festmahl gegessen, das ihnen
im Speisesalon dargeboten wurde. Es war keine Mahlzeit in angenehmer Atmosphäre, und die Unterhaltung zwischen den frischgebackenen Eheleuten war gezwungen. Als das Essen vorüber war, erhoben sich beide erleichtert vom Tisch.
Da Julian nicht allein über seinem Wein sitzen wollte, folgte er Nell in einen kleinen Salon. Nachdem Hurst hinter ihnen die Doppeltür geschlossen hatte, schlenderte Julian zu einem glänzend polierten Tisch, der eine Auswahl von Kristallkaraffen enthielt und verschiedene Gläser. Mit einem Blick zu Nell, die steif auf einem schmalen blauen Satinsofa saß, fragte er: »Hätten Sie gerne ein Glas Rheinwein?«
Sie nickte, war der Ansicht, dass ein Glas zu halten ihren Händen wenigstens etwas zu tun geben würde. Nachdem er ihr das Glas gereicht hatte, nahm Julian sich selbst eines und setzte sich ihr gegenüber auf einen zum Sofa passenden Sessel. Unbehagliches Schweigen breitete sich aus.
Nell holte tief Luft, trank einen Schluck Wein und erklärte hastig: »Mylord, ich muss mit Ihnen reden … über heute Nacht.«
»Ja? Was ist mit heute Nacht?«, erkundigte er sich und nahm einen Schluck aus seinem Glas.
Mit rot glühenden Wangen platzte Nell heraus: »Ich will Sie nicht in meinem Bett.«
Seine Bestürzung verbergend
Weitere Kostenlose Bücher