Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
wollte, den ich nicht kenne.«
»Ich gebe Ihnen in all diesen Punkten Recht«, räumte er reumütig ein, »aber ich hoffe, dass Sie im Laufe der Zeit von ihnen nicht länger als ›mein‹, sondern als ›unser‹ denken.«
Gereizt wegen seiner ruhigen, verständigen Haltung verlangte sie zu wissen: »Sind Sie immer so vernünftig?«
Er lachte. »Nein, nicht immer - ich verliere schon manchmal die Geduld, wenn auch nicht oft, wenigstens hoffe ich das, und ich stehe auch nicht darüber, eingeschnappt zu sein, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich es mir wünsche.« Er streckte die Hand aus, bemächtigte sich einer von ihren. »Ich weiß, dass es nicht leicht für Sie ist« - und als sie etwas erwidern wollte, fügte er hastig hinzu - »und dass es für mich viel einfacher ist als für Sie.« Er schaute ihr in die Augen. »Aber wir sind verheiratet, und wenn auch für Sie
jetzt noch alles fremd und neu ist, so haben wir doch unser ganzes Leben Zeit, uns kennen und etwas übereinander zu lernen.«
»Ärgert es Sie denn überhaupt nicht, dass Ihnen eine Unbekannte als Braut aufgenötigt worden ist?«, erkundigte sie sich neugierig.
»Nicht, wenn sie so charmant und liebenswürdig ist wie Sie, meine Liebe«, antwortete er mit einem belustigten Funkeln in den Augen.
Trotz allem musste Nell kichern. »Was für eine Übertreibung! Ich bin nicht im Mindesten charmant gewesen und würde mein Verhalten auch nicht liebenswürdig nennen.«
»Und was soll ich darauf antworten? Ich bin viel zu höflich, meine Gemahlin eine Lügnerin zu nennen« - das Funkeln wurde stärker - »noch würde ich es zu sagen wagen, nicht wenn mir mein Leben lieb ist, dass Sie unliebenswürdig sind.«
»Eine Zwickmühle, allerdings, Mylord, aber eine, aus der sich ein Gentleman mit Ihrem Auftreten mühelos befreien können müsste«, entgegnete sie mit einem übermütigen Lächeln.
Er lachte, und ihre Stimmung heiterte sich unerklärlicherweise auf, sodass sie die Fahrt durch die Landschaft genießen konnte. Der Earl widmete sich hingebungsvoll der Aufgabe, seine widerstrebende Braut zu unterhalten, und als die Kutsche einige Zeit später vor einem reizenden Landhaus stehen blieb, stieg Nell aus und war, wenn auch nicht restlos versöhnt mit der Situation, so doch immerhin nicht länger so missmutig.
Der Earl kannte die Dienerschaft, da er Talcott schon oft hier besucht hatte, und nachdem der Butler sie in einen eleganten Salon geführt hatte, fragte er: »Sagen Sie, Hurst, sind
mein Kammerdiener und Myladys Zofe schon eingetroffen?«
Hurst verbeugte sich und antwortete: »Ja, Mylord, vor ein paar Stunden bereits.«
Julian wandte sich an Nell. »Vielleicht würden Sie sich gerne Ihr Zimmer ansehen, sich vor dem Dinner umziehen und ein wenig frisch machen, ja?«
Nell griff seinen Vorschlag dankbar auf. Sie wurde in ein Schlafzimmer oben geführt, wo Becky bereits auf sie wartete. Becky, die auf dem Land geboren und aufgewachsen war, war immer noch verwirrt wegen der plötzlichen Hochzeit. Mit weit aufgerissenen Augen sagte sie: »Oh, Miss …« Sie wurde rot und verbesserte sich. »Eure Ladyschaft, ich bin so froh, Sie zu sehen! Ich hatte schon gefürchtet, im Schlafzimmer des Earls warten zu müssen, und wäre im Boden versunken, wenn Seine Lordschaft hereingekommen wäre!«
Nell entspannte sich zum ersten Mal, seit sie am frühen Morgen aufgewacht war, und lachte. Sie blickte sich in den eleganten Zimmern um und fragte: »Ist alles in Ordnung?«
»Oh ja, Miss - Eure Ladyschaft. Alle sind so freundlich zu mir.«
Mit ihrem offenen, sommersprossigen Gesicht und dem dicken roten Haar war Becky so weit wie nur möglich von der Vorstellung dessen entfernt, wie die Kammerzofe einer Lady aussehen sollte - und das war Nell gerade recht. In Meadowlea verzichtete Nell meist ganz auf die Dienste einer Zofe, aber für diese Reise nach London hatte sie auf Drängen ihres Vaters hin Becky, gewöhnlich ein Hausmädchen, gebeten, sie zu begleiten. Becky, die nie in ihrem Leben weiter als fünf Meilen von Meadowlea entfernt gewesen war, war entzückt gewesen. Mit ihrer sonnigen Art und ihrer eifrigen Bereitwilligkeit, jede Arbeit zu Nells Zufriedenheit auszuführen,
hatte sie sich als genau die Sorte Zofe erwiesen, die Nell wollte.
»Ich war mir nicht sicher, wie bald ich ein Bad bestellen sollte, oder«, begann Becky, während sie Nell in das eigentliche Schlafzimmer folgte, »wie viel ich auspacken sollte, Miss … äh, Eure Ladyschaft, aber ich
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