Skandalöse Küsse - Scandal Becomes Her
den zierlichen Haarkranz aus gelben Rosenknospen und schritt dann an der Seite ihres Vaters den Mittelgang hinab zu dem Mann, der ihr Ehemann werden würde.
Die Hochzeitsgesellschaft war klein: Nell, Julian, Sir Edward, Nells Brüder, Marcus Sherbrook, der Julians Trauzeuge war, Elizabeth und Lady Diana, die anmutig in ihr Spitzentaschentuch schluchzte. Mehrere Bankreihen waren voll besetzt mit Mitgliedern der guten Gesellschaft, die teilnahmen, wie Nell vermutete, mehr um ihre Neugier zu befriedigen statt aus dem Wunsch heraus, das Ereignis mitzufeiern. Die Messe war nur kurz und verging wie im Flug für Nell. Alles, was sie wahrnahm, war der schwere Goldring an ihrem Finger und dass der große, breitschultrige Fremde an ihrer Seite nun ihr Mann war. Noch nicht einmal das erfreute Gesicht ihres Vaters oder die stolzen Mienen ihrer Brüder und auch nicht das freundliche Lächeln, das Julians Trauzeuge ihr schenkte, vermochte ihre Niedergeschlagenheit zu durchdringen.
Zum Wohle ihrer Familie, trotz ihres Gefühls, nichts mit den Vorgängen um sie zu tun zu haben, versuchte Nell, sich an den Feierlichkeiten zu beteiligen. Bei dem Hochzeitsfrühstück aß sie, plauderte mit den Gästen und nahm höflich die Glückwünsche entgegen, während sie die ganze Zeit überlegte, ob es nur ein weiterer Albtraum war, anders als sonst, aber nicht weniger furchtbar.
Schließlich war es an der Zeit aufzubrechen, und während sich ihr zobelgefütterter Umhang im böigen Wind blähte, wurde sie unter Gelächter und guten Wünschen in Wyndhams Kutsche gehoben. Die Fahrt zu Talcotts Landhaus ein paar Meilen vor Londons Stadtgrenze würde nicht lange dauern. Dort würden sie und Julian eine Woche bleiben - lange
genug für den würdevollen Butler Dibble und die anderen Dienstboten des Earls, um nach Wyndham Manor zurückzukehren, ihrem neuen Heim auf dem Lande, und alles für die Ankunft der neuen Herrin des Hauses vorzubereiten.
In der Zwischenzeit galt es die Gegenwart zu überstehen. Plötzlich musste sie an die bevorstehende Nacht denken und schlucken, blickte unter halb gesenkten Lidern zu dem großen, dunkelhaarigen Gentleman, der ihr gegenübersaß. Gütiger Himmel! Dieser Fremde, dieser Mann, den sie kaum kannte, würde ihr Bett heute Nacht teilen und, wenn er wollte, auch alle Nächte für den Rest ihres Lebens.
Im schummerigen Licht im Inneren der Kutsche starrte sie ihn an, kam sich vor wie eine Stute, die einem unbekannten Hengst gegenüberstand. Und ich bin noch nicht einmal rossig, überlegte sie mit einem Anflug von Hysterie.
Ihren Blick bemerkend, lächelte Julian. »Das muss Ihnen alles ein wenig merkwürdig vorkommen.«
»Das ist noch milde ausgedrückt«, erwiderte sie und senkte den Blick auf ihre behandschuhten Hände.
»Es tut mir leid - besonders die Hast unserer Eheschließung.«
»Nur die Hast?«, erkundigte sie sich trocken.
Er zuckte die Achseln. »Unsere Ehe ist nicht unter alltäglichen Umständen zustande gekommen, aber es ist auch nicht das erste Mal, dass Fremde sich miteinander verheiratet finden.« Als sie darauf schwieg, beugte er sich vor, und sie wich ein wenig zurück, legte Abstand zwischen ihn und sich. Julian entging das nicht; er presste die Lippen aufeinander. Eine schreckhafte Braut war kein guter Vorbote für ihre gemeinsame Zukunft. Ruhig sagte er: »Wie ich schon einmal gesagt habe, liegt es an uns, aus der Ehe das Beste zu machen, das, was wir wollen. Ich kann Sie weder dazu zwingen, gute Miene
zum bösen Spiel zu machen, noch kann ich dafür sorgen, wenn Sie in der Ehe unglücklich sind, dass Sie wenigstens zufrieden sind. Das alles können nur Sie allein.«
Ihre Wangenmuskeln spielten. »Wie überaus leicht es für Sie ist, das zu sagen - Ihr Leben ist es schließlich nicht, das auf den Kopf gestellt wird«, entgegnete sie scharf. »Es ist Ihr Zuhause, in dem ich leben werde, es sind Ihre Dienstboten, die dort arbeiten. Sie sind alle Fremde für mich, an die Weise Ihrer Stiefmutter gewöhnt, und jetzt auf einmal soll ich Ihre Stiefmutter an einem Ort ersetzen, den sie jahrelang ihr Zuhause genannt hat! Ich stelle mich lieber einer Horde wilder Eber! Außer meiner Kammerzofe Becky und meiner Kleidung wird es nichts geben, das mir vertraut ist - und darüber soll ich froh sein? Zufrieden?« Ihre Augen blitzten. »Ich habe alles hinter mir gelassen, was ich mein Leben lang kannte - meinen Vater, mein Zuhause - und wofür? Für das Leben mit einem Mann, den ich nicht heiraten
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