Sklaven der Begierde
wie in Trance beendet, seine Sachen gepackt, seinen abgehalfterten gelben VW verschenkt und war nach Kentucky geflogen. Zwei Tage in der Woche arbeitete er als Pfleger in einem örtlichen Krankenhaus, um trotz seines Reichtums und seiner Privilegien nicht den Draht zum normalen Leben zu verlieren und sich weiterhin bewusst zu machen, dass es Menschen gab, die in Not und Armut dahinvegetierten. Den Rest der Zeit half er auf dem Gestüt. The Rails war mehrere Tausend Quadratmeter groß. Es gab jede Menge unbezahlbarer Vollblüter, zwei Pferdekliniken, Dutzende von Ställen, die aussahen wie Paläste. Sogar Swimmingpools gab es für die Pferde. Wesley bekannte, dass er sich in Noras kleinem, im Tudor-Stil gebauten Haus in Connecticut wohler und mehr zu Hause gefühlt hatte als auf dem Gestüt seiner Eltern. Deshalb hatte er ihr auch nichts von dem Geld und von dem Gestüt erzählt. Und auch nichts davon, dass er in Pferdesport-Kreisen eine – extrem widerwillige – Berühmtheit war. Er hatte sich lieber einen gebrauchten Käfer gekauft, als in seinem teuren Mustang bei seiner Schule vorzufahren, und auch seine Gucci-Garderobe ließ er zurück und kleidete sich, solange er am College war, bei GAP und Old Navy ein. Aber als er Nora damals jeden Cent, den er besaß, zur Verfügung gestellt hatte – um sie davon abzuhalten, wieder als Domina zu arbeiten – hätte sie besser auf sein Angebot eingehen sollen.
In dieser ersten Nacht war Nora an Wesleys Brust eingeschlafen. Sie hatten sich nicht geküsst, hatten sich nicht geliebt, nur geredet. Durch diese vielen Worte waren sie sich in jener Nacht wieder nahegekommen. Und jetzt hatten Worte sie einander wieder entfremdet. Es gab doch kaum etwas, das mächtiger war als die Sprache.
Als Nora sich dem Ende des Pfads näherte, nahm sie einen Geruch nach stehendem Wasser und Algen wahr. Ein Scheinwerfer strahlte einen Holzsteg an, der auf einen großen Teich führte. Am Ende des Stegs stand ein reich verzierter und prächtig ausgestatteter Pavillon. An den Seiten rankte wilder Efeu empor, und ein halbes Dutzend brennende Kerzen mit Zitronengrasaroma hielten die Mücken auf Abstand. Vor dem Pavillon, am äußersten Rand des Stegs, stand Wesley und starrte auf das schwarze Wasser, auf dessen spiegelglatter Oberfläche sich abertausend Sterne spiegelten.
„So …“ Nora schritt den Steg entlang und stellte sich neben Wesley. „Du fütterst also wirklich die Welse?“
Er sah sie nicht an, nickte aber. „Ja. Schau genau hin.“
Er nahm eine Schöpfkelle aus Metall, die voller Hundefutter zu sein schien, und schwenkte sie schwungvoll Richtung Teich.
„Gut gezielt“, sagte Nora. Das Futter war in hohem Bogen durch die Luft geflogen und schwamm nun zehn Meter vor dem Steg auf der Wasseroberfläche.
„Der coole Teil kommt erst noch. Nämlich … jetzt!“
„Was ist denn … Oh mein Gott, was war das?“ Sie hörte ein lautes Platschen, und in das eben noch so stille Wasser kam plötzlich Bewegung.
„Das sind die Welse.“ Wesley lächelte. „Du bist eine echte Stadtpflanze.“
Sie streckte ihm die Zunge heraus. „Das ist so … Heilige Scheiße, das sind ja Millionen Fische.“
Das Wasser schien regelrecht zu kochen, während sich viele längliche braune Körper zappelnd um die Beute drängten.
„Ich glaube, es sind nur ungefähr hundert.“ Wesley schleuderte eine weitere Kelle Futter in den Teich. „Ich weiß nicht mehr genau, wie viele beim letzten Mal gezählt wurden. Sie schlafen tagsüber auf dem Grund des Teichs; wenn es dunkel wird, steigen sie auf. Vor allem dann, wenn man sie füttert. Wir haben auch ein paar Albinos da drin. Siehst du irgendwo einen Hellgrauen?“
„Nein, keine Mini-Moby-Dicks in Sicht.“ Sie kniete auf allen vieren am Rand des Stegs und schaute suchend nach unten. Die langen „Schnurrbärte“ der Welse, die aus dem Wasser ragten, wirkten viel niedlicher und harmloser als Haifischflossen. „Wes, die sind ja so cool. Kann ich einen davon haben?“
Sie streckte den Arm aus und berührte den Rücken eines der sich windenden Welse. Die Haut fühlte sich warm und feucht an. Als der Fisch sie vollspritzte, sprang Nora hastig auf.
„Du kannst sie alle haben.“
„Danke schön. Ich glaube, ich lasse sie erst mal im Teich.“
„Ein guter Plan.“
Wesley legte die Schöpfkelle auf den Boden, verschränkte seine Arme vor der Brust und schaute in den Nachthimmel. Nora folgte seinem Blick. Doch es schien so, als starrten sie nicht
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