Sklavin des Wolfes (German Edition)
zumute, hinüber zum Haupthaus zu gehen, um zu frühstücken. Sie würde nichts herunter bringen. So allein.
Unruhig lief sie im Zimmer herum, schaute immer wieder zum Fenster hinaus. Sie traute sich nicht, nach ihm zu rufen. Die Pavillons waren nicht weit genug auseinander. Andere Gäste könnten sie hören. Als Wolf auch nach zwei Stunden nicht zurückgekommen war, packte sie entschlossen alles zusammen, auch seinen Anzug, in dem sie die Autoschlüssel fand. Sie steckte schon viel zu tief in dieser Beziehung, hatte Dinge getan, von denen sie zuvor nicht einmal vermutet hätte, dass sie diese tun würde. Bevor sie irgendeine Entscheidung für oder gegen eine gemeinsame Beziehung fällte, musste sie mit ihm reden.
Mia ging an die Rezeption, bezahlte das Zimmer und fuhr los. Irgendwie hatte sie das Gefühl, das Richtige zu tun. Woher sie diese Sicherheit nahm, war ihr schleierhaft.
Während der Fahrt dachte sie weiter nach. Wo würde er sich verstecken? Wieso war er in der Gestalt eines Wolfes davon gelaufen – und überhaupt, warum geschah das mit ihm? Wann verwandelte er sich zurück? Falls er doch zurückkäme, würde er sie nicht mehr vorfinden, auch keine Kleidung. Mia stöhnte. Sie musste ihn suchen und finden. Wenn nicht – dann würde sie eben noch einmal zurückfahren. Zwar war sie sich nicht darüber im Klaren, ob ihre Beziehung eine Zukunft hatte. Aber sie musste Antworten auf ihre Fragen haben, eher war sie überhaupt nicht in der Lage, eine Entscheidung zu treffen. In ihrem Bauch setzte ein flaues Gefühl ein, nicht nur, weil sie noch nicht gefrühstückt hatte. Es war pure Angst.
Sie zwang sich rational zu denken. Es gab eigentlich nur zwei Orte, an denen er sein konnte. Entweder er schaffte es durch die Stadt hindurch bis zu seinem Haus oder – entschlossen bog sie einige Kilometer später ab und fuhr den Parkplatz im Wald an, von dem aus sie zu dem Rotkäppchenspiel gestartet war.
Mia drehte sich um ihre eigene Achse. Ein paar Autos waren geparkt. Hier war ein beliebter Startpunkt für Spaziergänger und Jogger. Ansonsten sah jetzt am Morgen alles ganz anders aus als beim letzten Mal. Würde sie überhaupt ohne Hilfe zur Hütte finden?
Ach was. Sie schüttelte energisch den Kopf. Nicht so viel Nachdenken. Wenn Wolf wirklich hier war, dann würde er sie finden, nicht umgekehrt!
Sie schloss den Wagen ab und ging los. Immerhin konnte sie sich noch erinnern, welchen Weg sie zunächst genommen hatte. Spaziergänger mit Hunden begegneten ihr, eine Gruppe sportiv gekleideter Frauen mit Nordic Walking Stöcken und eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Der Mann schaute Mia direkt in die Augen. Sie hatte den Eindruck, dass er über irgendetwas besorgt war und sie ansprechen wollte, aber unschlüssig war, deshalb grüßte sie aufmunternd.
»Sie sollten vielleicht lieber wieder umkehren«, sagte er.
Mia hob die Augenbrauen. »Warum? Stimmt etwas nicht?«
»Ich weiß nicht. Wir haben einen schwarzen Hund gesehen, der alleine herumläuft. Vielleicht ist er gefährlich.«
»Wir werden dem Förster Bescheid sagen«, mischte sich seine Frau ein.
Mias Herz setzte fast aus. Förster? »Nein, warten Sie. Das ist – das ist meiner, er ist mir weggelaufen.«
Der bis dahin freundliche Gesichtsausdruck der beiden wich ihrer Verärgerung. »Dann passen Sie das nächste Mal gefälligst besser auf!«
»Ich kann Sie beruhigen, er ist ganz harmlos.«
Aber die Familie ging kopfschüttelnd weiter, ohne noch etwas zu erwidern.
Mia war sich zwar gar nicht so sicher, dass es wirklich Wolf war, den die Spaziergänger gesehen hatten, aber sie hoffte es inständig.
Dann schien es plötzlich, als hätte der Wald alles Leben verschluckt. Nichts war zu hören, keine menschlichen Stimmen, kein von Tieren verursachtes Knacksen, kein Luftzug, nichts. Das einzige beruhigende Geräusch war der vibrierende Widerhall eines klopfenden Spechtes in weiterer Entfernung.
Mia holte tief Luft. Sie kam sich ein wenig blöd vor, irgendwo im Wald zu stehen und laut zu rufen, aber sie musste es tun. Falls er hier irgendwo herumlief, würde er sie hören. Und falls nicht?
Sie legte die Hände wie einen Trichter an den Mund und begann zu rufen. »Wolf!« Sie wiederholte ihren Ruf und drehte sich dabei, damit er auch wirklich in alle Richtungen erklang. Als sie schon aufgeben und weiterlaufen wollte, hörte sie in größerer Entfernung ein langgezogenes Heulen.
Endlich! Ohne Nachzudenken fing sie an zu laufen. Zweige schlugen ihr ins
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