SLEEP - Ich weiss, was du letzte Nacht getraeumt hast
geht hinein.
Ein unheimliches Gefühl überkommt sie – dieses Gefühl, das sie zittern lässt und gleichzeitig Schwindel und Übelkeit auslöst, wie immer, wenn sie sich an einem absolut stillen Ort befindet, an dem sie überhaupt nicht sein sollte. Immer noch außer Atem prustet Janie laut, und das Geräusch zerreißt die Stille.
»Rede mit mir, Henry«, verlangt Janie leise. »Zeig mir, wie ich dir helfen kann.«
Sie geht in die Küche, wischt sich mit einem Küchentuch über die verschwitzte Stirn, nimmt sich ein Glas aus dem Schrank und dreht den Wasserhahn auf. Spuckend schießt eine rostfarbene Brühe heraus, bevor sie zu einem klaren Wasserstrahl wird. Janie lässt es eine Weile laufen, bevor sie das Glas füllt. Sie trinkt, und das lauwarme Wasser schmeckt gut genug, sodass sie nicht würgen muss.
Sie beschließt, sich zuerst dem Computer zu widmen. Als er hochfährt, sieht sie, dass er über ein analoges Modem läuft. Das ist hier draußen auf dem Land zwar nicht wirklich überraschend, aber dennoch ärgerlich.
»Rede mit mir«, murmelt sie erneut und trommelt ungeduldig mit den Fingerspitzen auf den Tisch.
Als Erstes sieht sie sich die Lesezeichen an. Sie findet sofort Henrys Onlineshop und loggt sich ein, Benutzername und Passwort sind ungeschützt und bereits eingetragen. Sie stöbert durch den Laden, der Dottie’s Place heißt, und findet ein Sortiment unterschiedlichster Artikel – von Baby- und Kinderkleidung über kleine Elektrogeräte, Bücher bis zu Glasfigurensammlungen. Sie klickt einen Secondhand-Overall an und liest die Produktbeschreibung, die Worte, die Henry gewählt hat. Sie sieht, dass er seine Intelligenz, seine Markteting-Fähigkeiten und seinen Geschäftssinn in dieses kleine Unternehmen gesteckt hat.
Mehrere Auktionen laufen gerade und ein paar sind in den Tagen, seit Henry krank geworden ist, zu Ende gegangen.
Plötzlich bemerkt sie seine Bewertungen. 99,8% positiv.
Das Gefühl, das in ihr aufwallt, ist ungewohnt.
Es lässt ihre Augen feucht werden.
Sie weiß nur, dass Henry Feingold nahezu perfekte Bewertungen bekommen hat.
Und sie wird nicht zulassen, dass sich das ändert.
Janie friert den Lagerbestand ein. Sie ermittelt die Artikel, die bereits verkauft sind, und sucht sie in den Lagerregalen, packt die Dinge ein und findet in der Schublade die Formulare für den UPS -Versand. Sie füllt sie aus und überlegt, ob sie dort anrufen soll, damit die Waren abgeholt werden, doch unter Henrys Favoriten findet sie einen passenden Internetlink und setzt eine Abholung für siebzehn Uhr fest. Dann stellt sie die Kisten vorsichtshalber vor die Tür, damit sie es nicht vergisst.
Wieder am Computer arbeitet sich Janie durch die anderen Seiten, die Henry mit Lesezeichen versehen hat. Ein politisches Forum, eine Kochwebsite, mehrere Links zu Marketing-Profis, eine jüdische Urlaubsseite. Gartenseiten.
Träume.
Und ein Link zu einer Wikipedia-Seite über Morton’s Fork.
Diesen Link klickt Janie an.
Liest die Seite.
Und stellt fest, dass es sich bei Morton’s Fork nicht wirklich um eine Weggabelung handelt. Es ist ein Ausdruck für ein Dilemma, und zwar kurz gesagt eines, bei dem man die Wahl zwischen zwei gleich beschissenen Alternativen hat.
Janie recherchiert weiter und ihr kommt die Redewendung »Sich in einem Teufelskreis befinden« in den Sinn. Sie runzelt die Stirn. »Okay, du kleiner Geheimniskrämer, worum geht es dir? Was war denn die Wahl, vor der du gestanden hast?«
Sie gibt verschiedene Schlagworte in die Suchmaschine ein, doch mitten in einem Wort hört sie plötzlich auf zu tippen.
Sie lässt sich auf den Stuhl zurücksinken und erinnert sich daran, als sie sich das letzte Mal in einem Teufelskreis befunden hatte. Es war erst vor ein paar Monaten, und sie hat in einem grünen Tagebuch darüber gelesen.
Sie weiß es natürlich.
Es ist klar, welche Wahl Henry vor Jahren getroffen hat.
Er hatte keine Miss Stubin, die ihm helfen konnte. Die ihn etwas lehren konnte.
Er hatte niemanden.
12:50 Uhr
Das hauserschütternde Rattern eines Lastwagens reißt Janie aus ihrer Konzentration. Durch das Fenster sieht sie ihn auf sich zu kommen und ihr Herz beginnt heftig zu schlagen. Sie weiß, dass sie eigentlich nicht hier sein sollte. Aber dann klopft die Fahrerin an die Tür und ruft freundlich: »He, Henry! Für das hier musst du unterschreiben! Bist du hinten?«
Janie zögert kurz, doch dann öffnet sie die Tür.
»Hi.«
Die Frau vom Paketdienst sieht auf, ihr
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