Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jill Hathaway
Vom Netzwerk:
Psychologie bei mir geblieben, statt sauer zu sein, weil ich mit einem anderen geredet habe, der sich anscheinend für meine Gefühle interessiert.
    Die Lüge, na ja, keine richtige Lüge, aber auch nicht die Wahrheit, geht mir mühelos über die Lippen. Das Gleiche habe ich auch Mrs Williams gesagt. »Das war nichts, ich hatte nur schlecht geschlafen. Viel Stress, du weißt schon.«
    Er blinzelt mich an, und es ist, als würde er die tapfere Maske durchschauen, die ich schon den ganzen Tag trage. »Okay. Und wie geht es Mattie?«
    »Wie würdest du dich fühlen, wenn deine beste Freundin gestorben wäre?« Ich schaue ihn so böse an wie Mrs Winger, damit er hoffentlich merkt, wie dämlich seine Frage ist.
    Er hält meinem Blick stand. »Ziemlich beschissen, würde ich sagen.«
    »Ja, sie fühlt sich ziemlich beschissen.«
    Wir stehen da und schauen einander an. Sein Gesicht ist ausdruckslos.
    »Warum hast du nicht angerufen?«, frage ich schließlich. »Du musst doch mitbekommen haben, was Freitagabend passiert ist.«
    Er schaut weg. Ich sehe, dass ich ihn überrumpelt habe. Er weiß, dass wir uns entfremden, hat aber wohl nicht damit gerechnet, dass ich es anspreche. Das kann ich ihm nicht verdenken, normalerweise gehe ich nicht so offen mit den Tatsachen um.
    »Ich weiß nicht«, er scharrt mit den Füßen, »ich hatte zu Hause zu tun. Außerdem hättest du mich auch anrufen können, wenn du reden wolltest.«
    Er schaut mir wieder in die Augen, und diesmal muss ich mich abwenden. Er hat recht. Ich hätte ihn anrufen können, habe es aber nicht getan. Wenn ich nur aus mir herausgehen, ihn um Hilfe bitten, ihm sagen könnte, was mit mir los ist. Doch wann immer ich daran denke, sehe ich das Gesicht meines Vaters, als ich ihm vom Wandern erzählte – seine Panik und dass er mich für verrückt hielt.
    Das kann ich nicht noch einmal ertragen.
    Nach einem langen Schweigen hebt er meinen Rucksack auf und gibt ihn mir.
    »Schwer.«
    »Ja«, murmele ich und hänge ihn mir über die Schulter. »Der ist wirklich schwer.«
    Ich wünsche mir, dass er noch etwas anderes sagt, etwas Leichtes und Witziges, damit es zwischen uns wieder klappt. Aber er sagt nichts, steht einfach nur da. Ich wünschte, ich wüsste, wie es wieder ein
uns
geben könnte, doch etwas ist zerbrochen, und so sehr ich es auch möchte, ich kann es nicht reparieren.

10. Kapitel
    D as Laub raschelt unter meinen Füßen, als ich nach Hause gehe. Nur einzelne Blätter hängen noch an den Zweigen, und viele von ihnen schweben zu Boden, als der Wind auffrischt. Ein gelbes Blatt kreiselt und tanzt vor meinen Augen herunter.
    Seltsam, dass der Tod so schön sein kann.
    Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Sophie hat nicht schön ausgesehen. Sie sah ausgelaugt und niedergeschlagen aus, vom Leben besiegt. Ich versuche, an etwas anderes zu denken, habe sie aber immer im Hinterkopf. Sie lauert mir auf. In diesem Augenblick lebt ihr Mörder irgendwo weiter und glaubt, er (oder sie) wäre davongekommen.
    Ich ziehe meine Jacke enger, doch der Wind schneidet durch den dünnen Stoff. Lange Schatten wachsen aus Bäumen und Briefkästen. Auf einem überwucherten Rasen liegt ein vergessenes Dreirad. Es sieht alt und verrostet aus. Das Kind, das damit gefahren ist, geht vermutlich schon aufs College.
    Dort ist unser Haus, buttergelb, im viktorianischen Stil mit grünen Fensterläden. Mein Vater bezahlt einen Jungen aus der Nachbarschaft, der das Laub zusammenharkt und in dicken Plastiksäcken an den Bordstein stellt. Man sieht, dass er länger nicht da war, weil das sterbende Gras fast unter dem Laub begraben ist.
    Von außen wirkt unser Haus ganz unauffällig. Wenn ein Fremder vorbeiginge, würde er glauben, dass eine nette, absolut normale Familie dort drinnen wohnt – mit einer Mutter und einem liebevollen Vater und zwei netten, angepassten Teenager-Töchtern. Er würde nicht ahnen, dass die Mutter schon lange tot ist und der Vater in einer undurchdringlichen Hülle lebt und eines der Mädchen in ihn hineinwandern und Dinge sehen kann, die er vor allen verbergen möchte.
    Plötzlich kommt es mir vor, als würde ich beobachtet. Ich drehe mich um, doch da ist niemand. Es ist dieselbe verschlafene Nachbarschaft, in der ich mein Leben lang gewohnt habe. Verlassene Straße. Leute in ihren Häusern, vermutlich vor dem Fernseher oder im Internet oder beim Kochen. Doch ich werde das Gefühl nicht los. Zitternd ziehe ich die Jacke enger und steige die Stufen vor der

Weitere Kostenlose Bücher