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Slide - Durch die Augen eines Mörders

Slide - Durch die Augen eines Mörders

Titel: Slide - Durch die Augen eines Mörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jill Hathaway
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Haustür hinauf.
     
    Mein Vater sitzt im Arbeitszimmer vor dem Laptop. Er hat weiße Stöpsel in den Ohren, aber ich höre einzelne Noten und erkenne Mozart. Mein Vater ist äußerlich das genaue Gegenteil meiner Mutter. Sie hatte langes, glattes, blondes Haar, seins ist dunkel und kraus. Sie war üppig mit vollen Wangen; er ist schlank, beinahe hager. Meist rasiert er sich, aber heute sehe ich Bartstoppeln.
    Seine Finger fliegen in einem kleinen, produktiven Tanz über die Tastatur. Klick-klick-klick, dann trinkt er einen Schluck Eiswasser und tippt weiter.
    »Hey Dad?«
    Er ist völlig in seine kleine Welt versunken und tippt einfach weiter. Ich nehme einen Stöpsel aus seinem Ohr und sage lauter: »Dad!«
    Ein Hauch von Ärger huscht über sein Gesicht, verschwindet aber sofort. Ich weiß, dass er nicht gerne gestört wird, wenn er am Computer sitzt. Nur sitzt er ständig davor, wenn er nicht gerade im Krankenhaus ist oder in der Küche ein Meisterwerk vollbringt.
    Er moderiert ein Online-Forum für Leute, die geliebte Menschen durch Krebs verloren haben. Es ist ein bisschen ironisch, dass er seine Freizeit damit verbringt, Fremde im Internet zu trösten, während Mattie und ich uns allein in unseren Zimmern verkriechen.
    »Hey Dad. Wo ist Mattie?«
    »In ihrem Zimmer. Sie schläft. Ich habe mich gefragt, ob du morgen mit ihr zur Beerdigung gehen kannst.«
    Mein Rucksack wird immer schwerer. Plötzlich kann ich das Gewicht nicht mehr ertragen.
    »Gehst du nicht mit?«
    Er windet sich. »Ich habe eine Quiche für die Familie gebacken. Hab sie hingebracht, als du in der Schule warst. Morgen muss ich arbeiten.«
    Mein Bauch tut weh. Eigentlich will ich Sophie nicht mehr sehen, aber jemand muss Mattie begleiten. Jemand muss die Erwachsene sein.
    »Dann werde ich wohl mitgehen müssen. Ich bin müde, ich lege mich hin. Wir sehen uns beim Abendessen.«
    Sein Gesicht leuchtet auf. »Ich mache einen Schmorbraten.«
    Beim Gedanken an dicke Fleischbrocken wird mir
muy verde
, wie Señora Gomez sagen würde, aber ich versuche, höflich zu sein.
    »Lecker.«
    Ich gehe ins Wohnzimmer und lasse meinen Rucksack auf den Boden fallen. Dann nehme ich das Hochzeitsfoto meiner Eltern vom Kaminsims. Mein Vater sieht stark und glücklich aus, meine Mutter leuchtet förmlich. Während ich auf das Bild schaue, lasse ich mich auf die Couch fallen. Wenn meine Mutter hier wäre, wüsste sie genau, was zu tun ist. Sie würde zu Sophies Beerdigung gehen und Matties Hand halten und die ganzen Dinge tun, die Mütter eben machen.
    Ich muss müder sein, als ich dachte, denn ich schlafe ein, das Foto an die Brust gedrückt.
    Ich laufe durch den Wald hinter unserem Haus, Zweige zerkratzen mir das Gesicht und die nackten Arme. Sie ist nirgendwo. Ich weiß nicht genau, wen ich suche, aber der Drang, sie zu finden, brennt wie Feuer in meinen Adern.
    Ich muss sie retten.
    Etwas befiehlt mir, zum Bach zu laufen. Ich kann ihn vor mir sehen, das Wasser schimmert an einigen Stellen durch die Bäume.
    Beim Näherkommen sehe ich etwas zwischen den Zweigen und Kieselsteinen im Wasser. Der Bach ist flach hier, und ich erkenne einen rotgoldenen Rock, der sich auffällig vom Grün und Braun der Umgebung abhebt. Blasse Haut unter Wasser. Lange schwarze Strähnen, die um ein geschwollenes Gesicht wogen.
    Es ist Sophie.
    Blut strömt in langen, dünnen Rinnsalen aus ihren Handgelenken.
    Ich sinke am Ufer auf die Knie und schreie empor zu den unbarmherzigen Bäumen. Ich komme zu spät. Sie ist für immer gegangen. Ich halte mir die Augen zu und fange an zu weinen.
    »Warum weinst du?«, fragt jemand, und ich nehme die Hände vom Gesicht.
    Die Leiche setzt sich auf!
    Ich stolpere rückwärts, rutsche auf einer Wurzel aus und falle auf den Rücken. Sophie greift mit klauenähnlichen Fingern nach mir. Ich mache den Mund auf, um zu schreien, doch meine Stimme ist weg.
    Das Sophie-Wesen greift nach meinen Schultern und beugt sich vor. Ich kann seinen Atem riechen, den Verfall darin, etwas Süßliches, das verdorben ist.
    »Was ist denn los, Vee? Hast du ein schlechtes Gewissen?«
    Ihr Griff wird enger, gleich werden sich die Fingernägel in meine Haut bohren. Ihre Augen sind schwarz, seelenlos, ganz und gar nicht wie bei dem süßen Mädchen, das ich kannte.
    »Fühlst du dich schlecht, weil du nichts unternommen hast, als du Gelegenheit dazu hattest?«
    Sie hat winzige, spitze Zähne. Scharf genug, um Fleisch zu zerreißen.
    »Du hast zugelassen, dass sie mir wehtun,

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