Slide - Durch die Augen eines Mörders
folgt ihr seufzend. Seine ganze Haltung zeigt deutlich, dass ihm gar nicht danach ist, ein hysterisches Mädchen zu beruhigen.
Schockiert setze ich mich auf die Couch. Sophie war
schwange
r? Als sie sich am Freitag übergeben hat – das muss morgendliche Übelkeit gewesen sein. Und auf der Tribüne hat Scotch erwähnt, er habe mit ihr geschlafen. Er muss sie geschwängert haben.
Vielleicht aber ist auch jemand anderer der Vater. Wenn Samantha nun recht hat und Sophie mit Mr Golden geschlafen hat? Wenn er der Vater ist, hätte er eine Menge zu verlieren – beispielsweise seinen Job. Ist ihm seine Stelle als Lehrer so wichtig, dass er dafür töten würde?
Mein Handy summt und reißt mich aus meinen Gedanken. Zerstreut melde ich mich.
»Hey, Vee, was ist los?« Rollins klingt angespannt.
»Ich hab gerade zu tun. Was gibt’s?« Ich zucke zusammen, sowie ich die Worte ausgesprochen habe. Sie hören sich schrecklich an.
»Ich gebe mir doch nur Mühe.«
Ich atme tief durch. »Ich weiß, tut mir leid. Ich habe nur ziemlichen Stress im Moment. Die Polizei war hier und hat meine Schwester befragt.«
»Ehrlich?«
»Ja. Ziemliches Durcheinander.«
Einen Augenblick lang herrscht Stille.
»Wir haben uns in letzter Zeit nicht oft gesehen. Ich mache auch einiges durch.«
Ich denke daran, dass er mich nie zu sich nach Hause lässt. Was geht da eigentlich vor?
»Möchtest du darüber reden?«
»Nein, es ist etwas Persönliches.« Seine Stimme klingt gepresst, als wolle er erzählen, was mit ihm los ist, könne sich aber nicht überwinden. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt. Mehr als alles auf der Welt wünsche ich mir, dass er mir vertraut, aber wie kann ich ihn dazu drängen, wenn ich selbst Geheimnisse vor ihm habe?
»Na ja, wenn du mal reden willst, ich bin ja hier.«
»Ich weiß. Alles klar mit uns?«
»Alles klar«, erwidere ich. »Gehst du morgen mit mir auf Sophies Beerdigung?«
12. Kapitel
M attie sitzt schweigend hinten in Rollins’ Auto. Wir kreisen um den Parkplatz und suchen nach einer Lücke, finden aber keine. Wir müssen einen Block vom Beerdigungsinstitut entfernt parken und den Rest laufen.
Der Wind zerzaust mein Haar und lässt mich schaudern. Normalerweise würde ich mich bedenkenlos an Rollins kuscheln, um mich zu wärmen, aber unsere Beziehung gleicht momentan einem Knochen, der gebrochen war und noch nicht ganz verheilt ist. Also bleibe ich lieber für mich.
Wir sind alle ganz in Schwarz gekleidet. Rollins trägt Jeans, ein schwarzes Button-Down-Hemd und eine schmale schwarze Krawatte. Ich habe eine einfache schwarze Hose und ein T-Shirt mit dunkelvioletter Spitze ausgesucht. Meine Schwester trägt das enge, schwarze Kleidchen, das sie für den Schulball gekauft hat. Ich bringe es nicht übers Herz, ihr zu sagen, wie unpassend es ist. Sie hat keine anderen schwarzen Sachen.
Draußen ist es kühl, aber im Gebäude selbst ist es warm wie in einem Backofen. Die Leute lassen sich von einem Sophie-Foto zum nächsten treiben, als wären sie in einem Museum.
Auf einem Bild ist sie etwa sechs, ein molliges, als Maus geschminktes Kind in einem blauen Ballettröckchen. Auf einem anderen hat sie die Arme um Mattie und Amber gelegt, alle drei tragen ihre Cheerleader-Kostüme. Dann bewegen wir uns wieder in der Zeit zurück, und eine Baby-Sophie spielt in einer entenförmigen Badewanne, die Genitalien züchtig mit einem Waschlappen verdeckt.
Sophies Mutter stürmt auf uns zu und umarmt Mattie. Tränen schießen aus ihren Augen, und blaue Schminke rinnt in die Falten auf ihren Wangen. Sie wirkt verhärmt.
»Ich bin so froh, dass ihr gekommen seid«, sagt sie, und Mattie umarmt sie.
»Es tut mir leid«, flüstert sie. Die Worte reichen nicht aus, reichen niemals aus, und es ist, als stünden wir alle um ein Loch herum, das immer größer und niemals voll wird. Sophies Mutter drückt Mattie noch einmal und setzt ihre Runde fort.
Wir gehen ins Nebenzimmer, in dem Reihen von Klappstühlen aufgestellt sind. Auf den meisten sitzen schon Angehörige und Lehrer, außerdem scheinen sämtliche Schüler anwesend zu sein. Zum Glück finden wir noch drei Plätze ganz hinten.
Ich setze mich zwischen Mattie und Rollins, recke den Hals, aber die Gesichter, die ich suche, finde ich nicht. Keine Amber. Kein Scotch. Kein Mr Golden.
Es dauert etwa eine Viertelstunde, bis alle Platz genommen haben. Weitere Menschen drängen sich hinter uns in den überhitzten Raum. Sie fächeln sich mit Programmheften,
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