Slow Travel: Die Kunst Des Reisens
Angelegenheiten kümmerte. Der Adler saß zufrieden da, drehte seinen Kopf hierhin und dorthin und schien sich nicht bewegen zu wollen. Bryan blieb unbeeindruckt und lachte nur.
»Das zählt eigentlich nicht – man kann ihn kaum sehen, und er ist nicht im Flug.«
Aber Kev und mir genügte es. Während ich durch das Teleskop starrte, schüttelte der Adler sich, erhob sich in die Lüfte und ließ sich von der Felskante hinuntergleiten. Es war ein Augenblick natürlicher Perfektion und weitaus schöner als alles, was ich mir hätte ausmalen können – eben weil es real war.
Obwohl ich spürte, dass Bryan es als seine Pflicht ansah, uns noch eine bessere Sichtung zu ermöglichen, war der Druck weg, und wir konnten einfach den Tag genießen. Am nächsten Halt hatten wir kein Glück, doch weiter oben am Glen More sahen wir durch Bryans Teleskop zwei weitere Goldadler, die auf Felsvorsprüngen hockten. Ich war begeistert, spürte aber, dass Bryan es als persönliches Versagen ansehen würde, wenn wir nicht einen Adler in freiem Flug zu Gesicht bekämen. Er suchte die Bergkämme um uns herum ab, und ich fragte, nach was er Ausschau hielt.
»Nach Anomalien. Wenn man den Horizont beobachtet, sucht man immer nach etwas Ungewöhnlichem, selbst wenn man nicht weiß, was es ist.«
Dann senkte er sein Fernglas, deutete auf etwas oberhalb des Kamms vor Cruach Choireadail und rief Kev herbei, der in die andere Richtung schaute.
»Zwei weißschwänzige Seeadler im Flug.«
Ich konnte sie mit bloßem Auge sehen, aber durch das Fernglas konnte man deutlich erkennen, welche Anstrengung das Fliegen für diese riesigen Vögel bedeutete. Ihre Flügel waren enorm. Bryan bemerkte: »Sie haben eine Flügelspannweite, die deine Größe übertrifft. Sie kann bis zu 2,50 Meter betragen. Und diese beiden sind noch nicht ausgewachsen.«
Zuletzt hatte ich also doch noch ein paar Ungeheuer entdeckt. Einer der beiden verschwand hinter dem Bergkamm, doch der andere stieß herab, um zu landen, und ich konnte seinen weißen Schwanz erkennen. Er schüttelte seine Federn, wandte den grauen Kopf mit dem gelben Schnabel in meine Richtung, und ich konnte die grauen Brustfedern sehen, die ihn als Jungvogel auswiesen. Sogar Bryan schien jetzt glücklich zu sein.
»Das ist ein weißschwänziger Seeadler. Einer der größten Adler, die man auf der Welt findet.«
Ich wandte mich zu ihm um und sagte: »Was hast du eigentlich? Adler zu beobachten ist doch das reinste Kinderspiel.« Er schüttelte sich vor Lachen.
In den Bergen von Mull kam es mir so vor, als ob es in Poes Arnheim nicht nur darum geht, dass die Vorstellungskraft des Menschen der Natur überlegen ist, die ihn umgibt. Dennoch ist Ellisons Ideallandschaft natürlich eine Metapher für das, was ein genügsamer Geist aus sich heraus erschaffen kann. Zu Beginn der Geschichte beschreibt der Erzähler, wiesein Freund seine Vorstellung von Glück definiert, indem er vier Bedingungen für die Seligkeit benennt: die Gesundheit, die man durch körperliche Betätigung im Freien erlangt, die Liebe, die Verachtung des Ehrgeizes sowie »ein Objekt unaufhörlichen Strebens« zu haben. Je ideeller dieses Objekt ist, desto mehr Glück wird man empfinden.
In Landors Landhaus , dem Pendant zu Arnheim , wird dies veranschaulicht, als ein Reisender durch die zauberhafte, uns mittlerweile bekannte Landschaft stolpert und auf ein einfaches, aber vollkommenes Haus stößt: »Während ich hinsah, hätte ich mir vorstellen können, ein hochbedeutender Landschaftsmaler habe es mit seinem Pinsel geschaffen.« Im Inneren findet er ein verliebtes Pärchen vor, das von Büchern, Kunstgegenständen und Vasen voller duftender Blumen umgeben ist. Poe will uns vermutlich sagen, dass wir unsere Vorstellung von Perfektion selbst bestimmen und damit der Tyrannei der realen Welt entkommen können, die nicht unseren Wünschen entspricht. Aber das erreichen wir nicht, indem wir versuchen, die Welt, in der wir leben, zu bezwingen, sondern indem wir den Fokus unseres Lebens innerlich neu einstellen, denn nur so erkennen wir das eigentliche Arnheim. Für Poe wird dies erreicht, indem man durch die Gegend reist, sich leidenschaftlich verliebt, seine Ambitionen nicht auf »morgen« richtet und sich der lebenslangen Aufgabe widmet, seiner Kreativität Ausdruck zu verleihen. Eins steht doch außer Frage: Wenn es ums Reisen geht – oder auch um Liebe und Kreativität –, ist es unerlässlich, dass man sowohl die Kontrolle als auch
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