Smaragdjungfer
ganz so aus, als wollte dadurch jemand einen unliebsamen Konkurrenten loswerden. Bis heute konnten wir nicht ermitteln, wer der Tippgeber war.« Paula atmete tief durch. »An jenem Abend hatten Christopher und Sigurd noch etwas länger an einem Bericht gearbeitet. Als sie endlich fertig waren, haben sie sich entschlossen, noch einen Trip zum Hafen zu machen, in der Hoffnung, irgendeine Spur zu Rasta-Charlie und über ihn zu Graf zu entdecken. Wir hatten Grund zu der Annahme, dass Charlie für Graf arbeitete, Informanten hatten das ausgesagt. Deshalb hatte Christophers Team es sich zur Gewohnheit gemacht, dass zwei oder drei Leute, die abends noch etwas Zeit hatten, ohne Vorwarnung in der Hafengegend nach dem Rechten sahen.« Sie atmete tief durch. »An dem Abend haben Christopher und Sigurd das übernommen.«
»Und was hatten Sie mit all dem zu tun?«
»Nichts. Nachdem ich mir sicher war, dass meine Informantin nicht mehr kommen würde, wollte ich nach Hause fahren. Vorher habe ich noch meine Mailbox abgehört und fand eine Nachricht von Christopher, dass er mit Sigurd unterwegs ist, um die Kais zu kontrollieren. Wir wollten an dem Abend noch ins Kino in die Spätvorstellung. Er wusste von meinem Treffen mit der Informantin. Da die Rheinstraße bei den Nordhafenkais um die Ecke liegt, hat er vorgeschlagen, dass ich ihn um halb zehn beim Hannoverkai abhole, dem letzten, den er und Sigurd kontrollieren wollten. Dann hätten wir gleich von da aus zum Kino fahren können, und Sigurd wäre mit dem Dienstwagen nach Hause gefahren. Das ist übrigens der, in dem wir gerade sitzen.«
»Oh.« Rambacher sah sie mitfühlend an.
Paula blickte zur Seite. Mitleid hatte sie noch nie ertragen können. »Bis aber später im Zuge der Ermittlungen meine Mailbox überprüft und festgestellt wurde, dass Christopher mich tatsächlich hinbestellt hatte, wurde mir meine Anwesenheit vor Ort als eigenmächtige Einmischung ausgelegt.« Sie ballte die Fäuste und musste sich beherrschen, um nicht auf das Lenkrad einzuschlagen.
»Durch Ihr Auftauchen dort soll die Sache überhaupt erst eskaliert sein«, wandte Rambacher vorsichtig ein.
Paula schnaubte erbost. »Das ist eine Lüge, die wahrscheinlich Hansen in die Welt gesetzt hat. Als ich die Hannoversche Straße noch nicht mal halb hinter mir hatte, fielen bereits die ersten Schüsse am Kai. Eigentlich hätte dort niemand sein dürfen. Das Gelände gehört zu einer Reparatur-Werft. Später stellte sich heraus, dass einer der Werftangestellten mit Charlie unter einer Decke steckte und nachts das Tor aufgeschlossen hat, wenn mal wieder eine neue Lieferung kam. Gegen ein hübsches Sümmchen, versteht sich. So auch in jener Nacht. Als ich dort ankam, lag Christopher bereits am Boden.« Tot. Oh Christopher! Wäre ich doch nur eine halbe Minute eher gekommen. Nur eine halbe Minute! Sie schluckte. »Ich habe meinen Wagen zwischen Christopher und Charlies Leute gefahren, die natürlich sofort auch auf mich geschossen haben, bin raus und habe ihn hinter den Ford gezogen. Aber es waren zu viele, die geschossen haben, und sie kamen von zwei Seiten. Und Autotüren sind nun mal nicht stabil genug, um Geschosse aufzuhalten und …«
Paula glaubte wieder, den Einschlag der Kugel zu spüren, die sie am Oberschenkel gestreift und der zweiten, die sie am Arm verletzt hatte, bevor die dritte sie in den Rücken unterhalb der Rippen traf und ihren Körper durchschlug. Sie fühlte wieder die Angst von damals. Ihr brach der Schweiß aus. Im nächsten Moment wurde ihr schwindelig und flau im Magen, und sie hatte das Gefühl, nicht genug Luft zu bekommen. Panik drohte sie zu überwältigen.
Erinnerungen. Das sind nur Erinnerungen. Sie ziehen an mir vorüber wie ein Film, aber ich bin nur Zuschauerin.
Das Mantra wirkte nicht. Ihr wurde richtig übel. Sie griff in die Hosentasche und umklammerte den Stein, den sie seit ihrem Klinikaufenthalt immer bei sich trug und nachts sogar neben ihr Kopfkissen legte. Dr. Keller hatte sie dazu angeregt, sich etwas aus einer Kramkiste auszusuchen, in der er bunte Murmeln, Sorgenpüppchen, Muscheln, Steine, Nüsse, Stofftiere und dergleichen aufbewahrte.
Paula hatte sich einen rötlichen, vom Meer rundgeschliffenen, eurostückgroßen Kieselstein ausgesucht. Er symbolisierte für sie Festigkeit, Stabilität und den sicheren Boden unter den Füßen, den Christophers Tod ihr entzogen hatte. Der Stein hatte sogar noch nach Meer gerochen, als sie ihn an sich genommen hatte.
Die
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