Smaragdjungfer
Briefes.«
Kastor hielt den Atem an und mochte sich kaum vorstellen, was diese Niedertracht noch übertreffen konnte.
»Sie schrieb, dass sie, da Bernd nun endgültig weg wäre, lieber in den Tod ginge als weiterzuleben mit dem Bewusstsein, die Mutter seiner völlig missratenen Tochter zu sein, und dass sie sich zutiefst dafür schäme, Paula in die Welt gesetzt zu haben.«
»Oh mein Gott.«
Kalle ballte die Fäuste. »Paula hat mir den Brief in Tränen aufgelöst gezeigt. Glauben Sie mir, in dem Moment habe ich bedauert, dass Lisa schon tot war. Ich hätte sie sonst eigenhändig erschlagen. Sie machen sich keinen Begriff davon, wie … wie vernichtet Paula danach war. Sie hat tagelang nur im Bett gelegen und geheult oder die Wände angestarrt. Ich habe lange Zeit befürchtet, dass sie sich auch umbringt. Hat sie nicht. Gott sei Dank. Aber seitdem war sie nicht mehr dieselbe.«
Das konnte Kastor absolut nachvollziehen.
»Seitdem ist sie kalt, abweisend, knallhart und so unleidlich, dass selbst ich manchmal Schwierigkeiten hatte, sie immer noch zu lieben und nicht auch zum Teufel zu jagen. Auf der Arbeit brachte ihr das natürlich Probleme mit ihren Kollegen. Paula hat wahnsinnige Angst vor Zurückweisung. Also denkt sie, wenn sie gar nicht erst zulässt, dass jemand sie mag, kann sie auch nicht mehr verletzt werden. Und gibt sich deshalb die größte Mühe, unausstehlich zu sein.«
»Das gelingt ihr verdammt gut.«
Kalle zuckte mit den Schultern. »Trotz allem hätte es ein gutes Ende nehmen können. Denn dann kam Christopher Petersen. Ich weiß nicht wie, aber er hat sie durchschaut und den Menschen gesehen, der sich in ihr versteckt. Ich habe sie zum ersten Mal richtig glücklich erlebt. Aber dann musste sie nicht nur mit ansehen, wie er vor ihren Augen erschossen wird, man hat auch noch versucht, ihr die Schuld daran zu geben.«
»So wie ihre Mutter ihr die Schuld an ihrem Selbstmord gegeben hat.«
Kalle nickte. »Das hat diese alte Wunde wieder aufgerissen. Immerhin hatte Christophers Tod zur Folge, dass Paula in Therapie ging. Das tut ihr gut. Und ja, Paula hatte die Wahl und hätte sich entscheiden können, depressiv und süchtig zu werden, statt der Welt einen als Menschen verkleideten bissigen Terrier zu schenken. Allerdings ist, wie ich das verstanden habe, gerade dieser Terrier dafür verantwortlich, dass einige Ganoven hinter Schloss und Riegel sitzen. Unterm Strich sieht das für mich danach aus, als hätte sie nicht die schlechteste Wahl getroffen.«
»Ich habe verstanden, was Sie damit sagen wollen.« Kastor blickte Kalle nachdenklich an. »Paula bedeutet Ihnen sehr viel, nicht wahr?«
»Sie ist die Tochter, die ich nie hatte. Ich liebe sie. Und glauben Sie mir, ich würde meinen rechten Arm dafür geben, wenn ich ihr damit weitere Schmerzen und Verletzungen ersparen und sie glücklich machen könnte.«
Ein ersticktes Schluchzen ließ sie zur Tür blicken. Dort stand Paula und hatte zumindest die letzte Äußerung mitbekommen, vielleicht sogar sehr viel mehr. In ihren Augen glänzten Tränen, die sie verzweifelt zurückzuhalten versuchte. Kalle stand auf und streckte ihr die Arme entgegen.
»Komm her, Wölfchen.«
Sie wich zurück.
»Verdammt noch mal, Paula, du kommst jetzt hierher.«
Sie kam zögernd näher. Jeder Schritt, zu dem sie sich überwinden musste, bestätigte, was Kalle über sie gesagt hatte. Er nahm sie in die Arme und drückte sie an sich. Paulas Selbstbeherrschung brach zusammen. Sie weinte herzzerreißend an seiner Schulter. Er streichelte ihren Kopf und wiegte sie beruhigend hin und her.
»Ist ja gut, meine Kleine, ist ja gut. Lass es raus. Lass alles raus. Ich hab’ dich lieb, mein Wölfchen. Hab’ ich doch immer gehabt. Weißt du doch.«
Paula weinte eine ganze Weile und schien Kastors Anwesenheit vergessen zu haben. Sie so verletzlich zu sehen, eröffnete ihm zusammen mit dem, was ihr Onkel ihm erzählt hatte, eine ganz neue Perspektive auf sie. Vielleicht konnte er sogar etwas für sie tun. Falls sie die prekäre Situation überlebten, in der sie sich immer noch befanden. Das hatte jetzt oberste Priorität.
Paula beruhigte sich nach einer Weile und atmete ein paar Mal zitternd durch. Kalle drückte sie noch einmal fest an sich, ehe er sie auf Armeslänge von sich weg hielt und forschend ansah. Sie holte tief Luft, um etwas zu sagen, doch er fuhr ihr über den Mund.
»Wage es bloß nicht, dich jetzt dafür zu entschuldigen, dass du endlich mal gesunden
Weitere Kostenlose Bücher