SMS für dich
Wirtschaftsressort, er wird absoluter Experte sein und sofort merken, dass
er sich die Falsche ausgesucht hat.
Unsicher steigt Clara von ihrem Rad, schließt es an einen Ständer und ärgert sich, dass dieser direkt vor dem Fenster steht.
Womöglich ist Herr Lehmann längst da und kann sie von drinnen beobachten. Doch als sie eintritt, ist weit und breit kein einsamer
Gast zu sehen. Clara nimmt an, Herr Lehmann sei etwa Mitte fünfzig, leicht dicklich, eher unsympathisch, aber höflich und
sehr gut gekleidet. So jedenfalls stellt sie sich einen Wirtschaftsredakteur eines wichtigen Magazins vor.
Sie geht nach hinten rechts an einen leeren Tisch, setzt sich so, dass sie die Tür im Blick hat, und bestellt einen Latte
macchiato.
Bis er kommt, kann ich mir ja noch kluge Sätze zurechtlegen, die möglichst lässig und souverän klingen und auf eine knallharte
Geschäftsfrau schließen lassen, denkt Clara. Doch innerlich fühlt sie sich komplett anders, eher wie ein kleines Schulmädchen,
über dessen Versetzung nach dieser mündlichen Prüfung verhandelt werden wird.
Nervös holt sie ihr Handy raus, um nachzusehen, ob Herr Lehmann sich womöglich gemeldet hat, ohne dass sie das Klingeln gehört
hat. Doch da ist nichts. Weder eine Nachricht noch ein Anruf, obwohl er zu ihrer Verabredung nun schon über eine Viertelstunde
zu spät ist. Sie greift in ihre Handtasche, um nochmal auf die Visitenkarte zu schauen. Da steht allerdings nur eine Büronummer
drauf, sodass es wenig Sinn ergibt, Herrn Lehmann anzurufen. |184| Womöglich hat er sich im Tag geirrt oder den Weg zum «Cheers» nicht gefunden.
Clara beschließt, in Ruhe ihren Kaffee auszutrinken und noch bis Viertel nach acht zu warten. Dann wäre er eine Dreiviertelstunde
zu spät und würde wohl kaum noch auftauchen.
Unsicher blickt Clara sich immer wieder suchend um, ob sie nicht doch jemanden übersehen hat. Genau wie damals, als sie sich
nach Katja umgeschaut hat, die wie immer zu spät kam. Ben saß am Nachbartisch und hat sich halb frech, halb höflich erkundigt,
ob sie versetzt worden sei. Da auch er vergeblich auf einen Kommilitonen wartete, ist er irgendwann einfach zu ihr rübergerutscht.
Der Abend wurde überraschend unterhaltsam, denn Ben legte gleich los: «Du kommst nicht aus Lüneburg, oder? Ein solch hübsches
Gesicht hätte ich mir ganz sicher gemerkt!»
Gerade als Clara spürt, wie ihr bei der Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Ben Tränen in die Augen steigen, klingelt ihr
Handy.
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Sven
«So eine Scheiße!», flucht Sven. Ausgerechnet heute ist dieser Mistzug überpünktlich!
Als er auf dem Bahnsteig ankam, fuhr ihm die Bahn direkt vor der Nase weg. Kurz überlegt er, ob er Hilke in sein Date einweihen
und sie noch einmal um ihren Wagen bitten sollte. Doch sie wäre bestimmt sauer, dass er tagelang geschwiegen und sogar ein
bisschen gelogen hat deswegen. Womöglich ist er mit dem nächsten Zug ohnehin |185| immer noch schneller in Lüneburg, als wenn er jetzt erst von Altona aus mit der U-Bahn zu Hilke nach Winterhude und dann weiter durch den Feierabendverkehr auf die Autobahn fährt. Doch auch die nächste Bahn wird
mich nicht mehr rechtzeitig nach Lüneburg bringen, denkt Sven und kann es einfach nicht fassen, dass ausgerechnet die einzige
Telefonzelle, die er nach langem, aber hektischem Suchen endlich findet, außer Betrieb ist.
Und da er schlecht einfach so mit Bens Nummer bei Clara anrufen kann, um seine Verspätung zu entschuldigen, hat er allmählich
das Gefühl, das Schicksal wolle ihm eins auswischen. Vielleicht ist das die Strafe für seine vielen Lügen. Dabei hat er Clara
bislang ja eigentlich gar nichts vorgemacht. Aber er kann unmöglich in dieser Situation mit der Tür ins Haus fallen, sie anrufen
und in absolute Verwirrung stürzen.
«Entschuldigung!», spricht Sven nun eine ältere Dame an.
«Ja?», antwortet sie freundlich.
«Haben Sie vielleicht ein Mobiltelefon dabei, das ich benutzen dürfte?», fragt er.
«Tut mir leid. Ich besitze gar keins. Aber der junge Mann dort drüben bestimmt», sagt sie und deutet auf einen Teenager, der
sich mit Cappy und den Ohrstöpseln eines MP 3-Players vor der Außenwelt verbarrikadiert.
«Danke», sagt Sven und wendet sich dem etwa Fünfzehnjährigen zu.
«’tschuldigung?!» Sven spricht extra laut.
«Was schreien Sie denn so?»
«Sorry, ich dachte …» Sven deutet auf die Kopfhörer.
Der Junge schaut Sven
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