SMS für dich
schlecht gelaunt und fragend an.
|186| «Äh, kannst du mir vielleicht dein Handy leihen? Ich muss einen dringenden Anruf machen.»
«Und was hab ich davon?»
«Na, du hilfst einem Mitmenschen in einer Notsituation.»
«Hä?»
«Also gut.» Sven kramt in seinem Portemonnaie nach einem 2-Euro -Stück und drückt es ihm in die Hand.
Der Junge schaut auf die Münze und verzieht sein Gesicht. Dann streckt er seine Hand wieder aus und setzt ein Pokerface auf.
Svens Geduld ist schon stark überstrapaziert, aber er hat keine andere Wahl.
«Das ist ja Wucher!», schimpft er, zückt einen 5-Euro -Schein und nimmt ihm das 2-Euro -Stück im Gegenzug wieder weg.
Endlich rückt der Junge sein Telefon raus. «Aber nicht so lange!»
Sven verzieht seine Mundwinkel und sucht in seinem i-Phone die Nummer von Clara.
«Aber Sie haben ja selbst ein Handy!», ruft der Junge empört. «Und was für eins!» Mit einer schnellen Bewegung reißt er Sven
sein Gerät wieder aus der Hand und will sich aus dem Staub machen.
«Stopp!», schreit Sven, offenbar so streng, dass der Typ tatsächlich stehen bleibt und nun doch etwas eingeschüchtert guckt.
«Ich kann meins aber nicht benutzen, kapiert?!»
«Von der Technik überfordert, was?» Der Junge grinst, schüttelt gleichzeitig den Kopf und hält erneut seine Hand auf.
«Du bist ein niederträchtiges, fieses Scheusal!», wettert |187| Sven und tauscht das 2-Euro -Stück wieder mit dem Handy des Jungen.
Nervös tippt er die Nummer ins Display. Es klingelt.
Als Claras glockenklare, warme Stimme ein «Ja?» ins Telefon haucht, braucht Sven noch eine gefühlte Stunde, bis er endlich
in der Lage ist, seine Wut zu drosseln und seine Aufregung zu überspielen.
«Frau Sommerfeld? Lehmann hier. Es tut mit leid, aber ich habe meinen Zug nicht erwischt.» Die Umgebung am Altonaer Bahnhof
ist ziemlich laut, dennoch bemüht Sven sich um einen sanften Ton.
«Wie bitte? Ich kann Sie so schlecht verstehen. Sie müssen bitte etwas lauter sprechen!»
«Hier ist Lehmann. Ich habe meinen Zug verpasst und kann erst in einer Dreiviertelstunde bei Ihnen sein.»
«Oh», sagt Clara knapp.
«Es tut mir leid. Könnten Sie dennoch warten, oder sollen wir etwas anderes ausmachen?»
Clara scheint kurz zu zögern, bemüht sich aber um einen freundlichen Ton und sagt: «Nein, ist in Ordnung. Aber ich nehme Sie
lieber am Bahnhof in Empfang. Dann kann ich Ihnen auf dem Weg noch mein Atelier zeigen, wenn Sie mögen.»
«Ja, großartig … Ähm, woran erkenne ich Sie denn?», fragt Sven verlegen.
«Ach so … Tja, also, ich bin 31, blond, mittelgroß, eher schlank und trage heute eine Jeans und dazu einen hellen Cordblazer.»
«Okay, dann also bis gleich am Bahnhof. Danke!»
«Kein Problem. Tschüs!»
«Ja, tschüs!», schließt Sven. Er muss grinsen und freut |188| sich, dass all seine Befürchtungen, den Abend allein verbringen zu müssen, soeben verflogen sind. Energisch drückt er dem
Jungen sein Handy in die Hand und marschiert mit schnellen Schritten zur Anzeigetafel, um nach dem nächsten Zug zu schauen.
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Clara
Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen, dass dieser Lehmann sich so verspätet, denkt Clara. Immerhin begreift sie dieses
Interview trotz aller Selbstzweifel auch als Starthilfe für ihre Selbständigkeit. Aber sie ist froh, dass der Typ einen recht
unkomplizierten und sympathischen Eindruck macht. Zumindest klang er eben am Telefon etwas jünger als gedacht.
Clara ärgert sich ein wenig, dass sie vor dem Treffen nicht einfach mal im Internet nach ihm gegoogelt hat. Wenn er für ein
solch renommiertes Magazin arbeitet, ist sicher irgendwo ein Foto von ihm zu entdecken. Andererseits wäre sie sicher noch
nervöser vor einem solchen Gespräch, wenn er auch nur ansatzweise attraktiv wäre, denkt Clara, als sie die letzte Straße vor
dem Bahnhof überquert.
Seit dem Winter ist sie nicht mehr hier gewesen. Am ersten Weihnachtstag war Ben mit seiner Mutter und Dorothea zu seiner
Oma in die Nähe von Düsseldorf gefahren. Da er Silvester einen Gig mit seiner Band hatte, wollte er rechtzeitig zur letzten
Probe wieder in Lüneburg sein und kam deshalb allein mit dem Zug zurück. Clara kann sich noch genau erinnern, wie sie ihn
damals am Bahnhof abgeholt hat und wie sehr sie sich auf ihn gefreut hatte. Dabei |189| waren es nur wenige Tage gewesen, die sie nach dem Heiratsantrag getrennt verbracht hatten.
Und doch war Ben damals so
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