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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Autoren: Gary Shteyngart
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gewickelt, ihre Schapkas rutschten ihnen von den Köpfen, ihre Füße steckten in monströsen, aus Urzeiten weitervererbten Galoschen. Ein Junge und ein Mädchen, er vorn, sie hinten, schwenkten riesige rote Flaggen, um den Motoristen anzuzeigen, dass sie die Straße zu überqueren gedachten. Eine hübsche jungeLehrerin stand ihnen hilfreich zur Seite und wies ihnen den rechten Weg. Wer weiß, warum – kollektives Gedächtnis, ein plötzliches Wiederaufflammen meines abgestumpften Gewissens, die evolutionsbedingte Liebe großer Männer für alles Kleine –, aber an diesem Tag weinte ich um die Kinder.
    Winzig, engelsgleich, slawisch standen sie mit ihren idiotischen roten Flaggen im Getriebe des Bolschoi Prospekts, kleine Dampfwölkchen stiegen ihnen aus den rotbäckigen Gesichtern empor und sahen aus wie kleine Kindergedanken im Kampf mit der mitleidlosen Kälte. Die Autos donnerten an ihnen vorbei, der Audi des reichen und der Lada des armen Mannes. Niemand hielt an, um sie passieren zu lassen. Wir standen an einer roten Ampel, und ich kurbelte mein Fenster herunter und lehnte mich hinaus, in der Eisluft mit den Augen zwinkernd wie eine große Nordmeerschildkröte. Lag da ein Lächeln auf ihren Gesichtern? Zarte junge Zähnchen, blonde Haarsträhnchen, die unter ihren trutzigen Mützen hervorlugten, und deutliches Grinsen, begleitet von diszipliniertem Petersburger Kinderlachen. Nur der Lehrerin – aufrecht, still, stolz, wie nur eine Russin stolz sein kann, die 30 US -Dollar im Monat verdient – schien wirklich klar zu sein, welche Art Zukunft ihren Schutzbefohlenen kollektiv bevorstand. Die Ampel schaltete auf Grün, mein Fahrer Mamudow raste mit seiner typischen tschetschenischen Wildheit los, und ich drehte mich noch einmal nach den Kindern um und erhaschte einen Blick auf den Jungen mit der roten Flagge, wie er seinen ersten, vorsichtigen Schritt auf den Bolschoi Prospekt setzte, schwungvoll die Fahne schwingend, als schrieben wir das Jahr 1971, nicht 2001, als wäre rotes Tuch noch immer das Emblem einer Supermacht. Ich fragte mich:
Wenn ich jedem von ihnen 100.000 Dollar gäbe, würde das ihr Leben ändern? Würden sie lernen, wie man zu Menschen wird? Würde sich der Virus unserer Geschichte mit einem Cocktail aus Humanismus und Dollarzeichen in Schach halten lassen? Würden sie auf gewisse Weise zu Mischas Kindern werden?
Aber selbst in all meiner Förderung konnte ich nichts Gutes für sie entdecken. Eine kurze Erholungspause von Alkoholismus, Hurerei, Herzkrampf und Depression. Mischas Kinder? Kannste vergessen. Ich sollte lieber mit der Lehrerin schlafen und ihr einen Kühlschrank kaufen.
    Und deshalb, das sei um der Wahrheit willen hier vermerkt, musste ich auf der Heimfahrt vom Fischerheim weinen. Ich weinte um die Kinder irgendeines Kindergartens Nr. 567 und um meine eigene Machtlosigkeit und Verstrickung in die Welt um mich herum. Einmal, das schwor ich mir, würde ich auch um meinen Vater weinen.
     
     
    Als wir endlich zu Hause waren, warf ich Tavor in Drei-Milligramm-Dosen ein und spülte mit Johnnie Walker Black nach. Gut gemacht. Die beiden Substanzen verstärkten einander – die Angstlöser machten mich noch betrunkener und der Black nahm mir die Panik. Ergebnis: Ich schlief ein.
    Als ich aufwachte, lag ich auf Rouenna, dem einzigen Mädchen, von dem ich wusste, dass es groß genug war, mein Gewicht aushalten zu können. Friedlich schnarchte sie, und ich spürte, wie ihre wuchtige Vagina sich an meinem Bauch rieb. Aljoscha-Bob kam ins Schlafzimmer, und hinter ihm ertönten Gelächter und Fernsehgeräusche aus dem Salon.
    »Ey, Snack«, sagte Aljoscha-Bob. »Soundcheck,
big buddy
.« Er warf einen liebevollen Blick auf meine nackte Rouenna, die wie tot auf dem Bett lag, oder besser der Couch. Mein Lieblingsgemach war dem Ordinationszimmer meines New Yorker Analytikers Dr. Levine nachempfunden – zwei Barcelona-Sessel aus schwarzem Leder vor der dazu passenden Mies-van-der-Rohe-Liege, baugleich mit jener, auf der ich mich fünfmal die Woche niedergelassen hatte, bis ihre Einkerbungen in mein Fett eingebrannt waren. Ich hatte Abzüge der bunten Fotografien von Sioux-Tipis an Dr. Levines Wänden aufgetrieben, nur die prächtige Zeichnung über der Couch – ein westafrikanischer Aneignungsversuch der Pietà – war bisher nicht zu bekommen gewesen.
    Aljoscha-Bob tätschelte mir die hübschen Löckchen. »Hauptmann Belugin verlangt nach dir,
homeboy
«, sagte er. »Frühstück ist
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