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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise
Autoren: Gary Shteyngart
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Petersburg sind fest gefügt. Boris Vainberg war ein Teil davon. Dann hat er diese Position aus freiem Willen aufgegeben. Die Konsequenzen waren absehbar.«
    »Geh schlafen, Snack Daddy«, sagte Aljoscha-Bob. »Ich werde noch ein wenig mit dem Hauptmann reden.«
    Ich tat, wie mir geheißen. Zurück in meinem Schlafzimmer, vergrub ich mein Gesicht in Rouennas duftender Achselhöhle. Im Halbschlaf wälzte sie sich unter meiner Schulterschwarte hervor und kuschelte sich in eine Position, aus der sie mir bequem auf den Arm sabbern konnte. Mit irrer Dringlichkeit küsste ich ihr die glänzende Nase, wie ein Vogel, der für seine Küken Würmer aus dem Boden zieht. »Süüüüüüß«, seufzte Rouenna im Ausatmen zwischen zwei komplizierten Schnarchern.
    »
Love you
«, wisperte ich.
    Inzwischen hatte der Diener Timofej meine Tscheburaschka-Kinderpuppe auf dem Eames-Chair aus Walnussholz und Leder platziert, in dem sonst an der Park Avenue Dr. Levine drohend hinter mir lauerte. Tscheburaschka, ein Star des sowjetischen Kinderfernsehens, ein knuddeliges asexuelles braunes Wesen, das so gern Jungpionier werden und allen einsamen Tieren der Stadt ein Haus der Freundschaft bauen wollte, analysierte mich mit seinen riesigen feuchten Augen. Seine noch größeren Ohren flatterten im Sommerwind und versuchten angestrengt, meine Klagen aufzufangen.
    In einer Woche würde Rouenna mich verlassen, um in New York wieder ihre Sommerkurse am Hunter College aufzunehmen. Und dann wäre ich allein und verlassen.

6
    Der Geliebte Herr Papa kommt unter die Erde
     
    Von der Beerdigung weiß ich nicht mehr viel. Es waren viele Juden da, das steht fest. Einer der großen
kibbuzniks
aus der Synagoge in der Lermontowstraße erklärte mir, es sei Papas glühendster Wunsch gewesen, dass ich eine Jüdin heirate. Er zeigte mir eine – groß und dünn, mit geschwungenen feuchten Augen und einem üppigen Mund, stand sie mit einem Strauß ans Herz gedrückter Gardenien am offenen Grab. Sie war eine jener russisch-jüdischen Damen, die das ganze Jahr hindurch traurig sein und dir den Ernst des Lebens auf tausend verschiedene Arten begreiflich machen konnten. »Sieht gut aus«, pflichtete ich ihm bei, »aber jetzt habe ich gerade eine amerikanische Freundin.« Ich wies mit dem Kopf auf Rouenna. Sie trug ihren Trauerminirock, der ihre Hüften und ihren Arsch betonte und uns alle daran erinnerte, wo wir herkamen. Sie griff mir an den Kopf, um mir das blaue
blin
von einer
jarmelke
gerade zu rücken, mit dem Bild der maurischen Fassade der Synagoge darauf. Papas liebste.
    »Wenn du bereit für eine richtige Frau bist, komm zu mir in die
shul
«, sagte der Jude. »Es gibt keinen Grund, allein durchs Leben zu gehen.«
    »Na ja, ich bin ja auch nicht allein«, sagte ich. Ich legte den Arm um Rouenna und zog sie fest an mich, aber das kaufte er mir nicht ab.
    »Du musst schnell handeln, mein Sohn!«, sagte er und meinte die traurige Jüdin. »Sie heißt Sarah und hat viele Verehrer.« Er ging zu Ljuba hinüber, meines Vaters Witwe, und putzte ihr das winzige Näschen.
    Meines Vaters Witwe Ljuba war völlig aufgelöst, matt hing ihr dassonst so demonstrativ blonde Haar vom Schädel, ihre durchsichtige schwarze Bluse war als Reverenz an die althergebrachten jüdischen Trauerrituale zerrissen (womit hatte sie sich denn bitte schön die Stammeszugehörigkeit erworben?), und ihre Arme hatte sie himmelwärts geworfen, als bäte sie den Herrn, sie auch zu sich zu nehmen. Niemand auf Erden, so jaulte sie, werde sie jemals so lieben wie er, und mit diesen Worten fiel sie den Mittrauernden schlaff in die Arme.
    Papa hatte sich gewünscht, neben meiner Mutter begraben zu werden, die auf einem alten Friedhof im unseligen Südosten der Stadt bestattet worden war. Der Friedhof grenzte an einen Vorstadtbahnhof, auf den Schienen lungerten die ersten halb bewusstlosen
alkashy
des Tages herum und versuchten, die letzten Tropfen Golden-Barrel-Bier aus ihren Flaschen zu nuckeln; auf dem Bahnsteig lagen zwei umgekippte Frachtwaggons und auf dem Zylinder des einen leuchteten die Buchstaben POLY , auf dem des anderen MERE .
    Die Gräber waren mit überzeugender Präzision geschändet worden. Sogar die Goldbuchstaben hatten sie vom Grabstein meiner Mutter gekratzt. Ich konnte den Schriftzug YULIA ISAAKOWNA VAINBERG , 1939–1983 kaum noch ausmachen, ganz zu schweigen von der goldenen Harfe, die mein Vater darunter hatte anbringen lassen, vermutlich als Anspielung auf ihre ungeheure
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