Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
Vom Netzwerk:
denn ich liebte mein Wesen so sehr, dass ich bereit war, jeden umzubringen, der seinem Überleben im Wege stand.
Na gut,
dachte ich,
wenn mir der Glaube keinen Trost bietet, dann will ich mich dem Fortschritt verschreiben
. Ich stolzierte ans andere Ende des Campus in den Hof eines Neubaus, wo ich die festlichen Grün- und Gelbtöne der Wohnheime über den schneebesetzten Fensterscheiben hocken fand. Ich ließ mich in einer Schneewehe nieder, riss eine Tüte Tortillachips auf und schüttete alles auf einmal in mich hinein. Dann zündete ich den Stummel meines Joints an und merkte, dass ich besser erst gekifft und dann die Tortillachips gegessen hätte. Warum war ich immer so blöd?
    Von oben ertönte Gelächter und ein Licht blitzte auf, als ein schwarzes eckiges Ding durch die Luft flog, das wie ein Sarg aussah, und sich sanft auf einem Schneehaufen neben mir niederließ, aufrecht wie ein Grabstein. Erschrocken grub ich meinen Hintern tiefer in die Schneewehe, schälte ein gefrorenes Schinkenbrot aus seiner Frischhaltefolie und biss furchtsam hinein. Der Tod umfing mich. Ein kalter amerikanischer Tod.
    Ein zweiter Sarg kam geflogen. Er drehte sich in der frostigen Luft um sich selbst und landete dann direkt vor meinen Füßen. Das Lachen wurde lauter, und ich bedeckte den Kopf mit den Händen und jaulte vor Schreck. Wer konnte mir so etwas antun? Wer konnte so grausam sein, einen zugeknallten Ausländer zu quälen? Aus purer Angst nahmich mir noch ein Schinkenbrot vor und schlang das meiste davon in einem Bissen hinunter.
    Und dann fiel mir ein dritter Gegenstand vor die Füße, ein Stück gezackter Pappe. Ich legte mein Essen weg und sah genauer hin. Da lag ein Stück von einem Scrabble-Brett, einem merkwürdigen amerikanischen Spiel, bei dem Kenntnisse in englischer Lexikografie und Orthografie belohnt wurden. Ich kroch auf einen der Särge zu, meine monströsen sowjetischen Fausthandschuhe füllten sich mit Schnee, und schließlich entzifferte ich ganz unten die glitzernden Buchstaben BOSE . Wie die meisten russischen Kinder war meine Jugend von der Sehnsucht nach westlicher Technologie erfüllt gewesen, also wusste ich gleich, dass es sich bei dem Gegenstand vor mir um einen teuren Stereolautsprecher handelte. Wer warf bitte so einen Schatz aus einem Wohnheimfenster? Ich beschloss, eine Untersuchung anzustellen.
    Im Inneren des Wohnheims fühlte man sich wie in einem hastig zusammengezimmerten U-Boot: kleine Bullaugen in den Wänden, offen verlegte Rohre an den Decken und darunter das gleichmäßige Brummen einer großen Maschine, als würden wir uns unter der Tundra des Mittleren Westens hindurchgraben in der Hoffnung, entweder in der Sonne Kaliforniens ans Licht zu kommen oder in der New Yorker Hochbahn bei der Einfahrt in den Bahnhof Grand Street. Die in melancholische Düsternis getauchte Eingangshalle wurde von endlos aufgereihten Automaten beherrscht, aus denen ich mir ein Dutzend Moonpies zog, und herrlich platzte ihre Schokokruste unter meiner Zunge auf und badete sie in weicher, weißer, künstlicher Marshmallowmasse.
    »Ho-kay«, verkündete ich den leeren Fluren, deren Anschlagtafeln voller Aufrufe hingen, die entschlossene Lesbenaction gegen fette Männer ankündigten, die sich von unterdrückten Schwestern hinter Bierlastern einen runterholen ließen. »Serr gutt«, sagte ich und ließ die Muskeln meiner verstopften Nase spielen. »So ein Frrau brraucht Schutz.«
    Meine Moonpies mampfend, durchwanderte ich die toten Gänge und versuchte, mit den Ohren ein paar Rastaklänge aufzuspüren, mit der Nase die verräterischen Spuren von
purple haze
, der sich unter einergelb beleuchteten Türschwelle hervorstahl. Im obersten Stockwerk entdeckte ich schließlich solch einen Ort, ohne Bob Marley, aber voll von lauten Männerstimmen, ganz aufgedreht, um Frauen zu beeindrucken.
    Ich hob eine meiner großen Patschhände und klopfte.
    »Verpiss dich!«, ertönte eine Stimme mit vertrautem russischen Akzent. Beleidigt ließ ich die Hand sinken. Was hatten sie nur alle gegen mich? Aber als ich schon wieder gehen wollte, rief dieselbe Stimme: »Ach, scheiß drauf. Komm rein.«
    Entzückt von diesem Sinneswandel, öffnete ich die Tür und stand vor einem Mickerling, dem russischen Emigranten Vladimir Girshkin, einem völlig unauffälligen Studenten im zweiten Studienjahr, der sich mir trotzdem überlegen fühlte, weil er schon neun Jahre in den USA war und einen hübschen amerikanischen Akzent pflegte. Girshkin,

Weitere Kostenlose Bücher