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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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ausgebreitet, so wundersam still wie eine Wüstenruine. Die meiste Zeit fühlte ich mich von der imposanten neogotischen College-Architektur zu Höchstleistungen angespornt, aber in dieser Nacht erschienen mir die Lehren des Zufallscollege hölzern und leer, als wartete alles, was ich wissen musste, in einer Pfütze Blutes auf den Straßen von Vilnius oder Tiflis auf mich. Vielleicht würde der wichtigste Teil meiner Studentenzeit darin bestehen, dass ich Aljoscha-Bob unterwies und sein seltsames, auf Russland gerichtetes Schicksal prägte.
»A schto eto?«
, fragte Aljoscha-Bob und zeigte auf eine Anlage, die aussah wie ein abgestürztes Raumschiff.
    »Psychiatrische Ambulanz für Studenten«, erklärte ich auf Russisch.
    »A schto eto?«
    »Schwul-lesbisches Befreiungszentrum.«
    »A schto eto?«
    »Nicaraguanische Schwesternkooperative.«
    »A schto eto?«
    »Amazonas-Regenwald-Erlebnisraum.« Die russischen Bezeichnungen ließen sich immer schwerer finden und klangen immer doofer, deshalb war ich wirklich froh, als wir mit dem Campus durch waren und uns mitten im verarmten Umland wiederfanden. »Kornfeld«, sagte ich. »Kuhstall. Trecker. Getreidespeicher. Hühnerschuppen. Schweinepferch.«
    Ein paar Kilometer weit wanderten wir durch die Felder und gelangten dann auf die Straße in die nächste größere Stadt. Als wir beschlossen, umzukehren und den Heimweg anzutreten, ging über einem nahen Einkaufszentrum die Sonne auf. Mit heulenden Sirenen überholte uns eine Armada von Polizeiwagen und verschwand Richtung Campus. Wir vermuteten ganz richtig, dass sich die Beamten auf dem Weg zu Aljoscha-Bobs Wohnheim befanden, um Girshkin und Shteynfarb wegen Vandalismus und Verschandelung von Universitätseigentum festzunehmen. Vor Aufregung über diese Erkenntnis mussten wir lachen, und wir wieherten in die frostkalte Morgenluft, bis uns die gefrorenen Stimmen versagten. Ich nahm Aljoscha-Bobs bibbernden Körper in meine Arme und verkeilte ihn in meinen Fleischmassen, damit er spürte, was wahre Freundschaft auf Russisch hieß.
    Ich glaubte, wir würden nie wieder ohne einander sein.

22
    Meine Nana
     
    Ich hatte mich getäuscht.
    Mutterseelenallein und zitternd vor Angst, verkroch ich mich in Absurdistan unter meinem Bett und brach in Tränen aus.
    Als mein Geliebter Herr Papa erfahren hatte, dass sein Vater auf einem Schlachtfeld bei Leningrad im Kampf gegen die Deutschen gefallen war, soll er sich unter seinem Bett verkrochen und vier Tage lang geweint haben. Er lehnte Brot und Kascha ab und labte sich allein an seinen Tränen und der Erinnerung an die Liebkosungen seines toten Vaters. Ich verfolgte dieselbe Strategie, wenn unsere jeweilige Lage auch entscheidende Unterschiede aufwies. Papa war drei Jahre alt gewesen, ich war 30. Papa hatte den Krieg bei entfernten Verwandten in einem grässlichen Dorf im Ural ausgesessen, ich war der einzige Bewohner der Penthouse-Suite eines westlichen Hotels. Papa hatte nichts als seine Tränen, ich hatte mein Tavor. Und dennoch fühlte ich mich mit ihm verbunden. Ich hatte meine Mutter verloren, meinen Vater und nun, da Aljoscha-Bob fort war, auch noch meinen Bruder. Wieder war ich verwaist. Hals über Kopf in eine Welt geworfen, die nichts mit mir anzufangen wusste.
    Und schlimmer noch, irgendetwas stimmte mit meinem
mobilnik
nicht. Vielleicht hatten die Absurdis den Netzzugang blockiert, weil sie so dumm waren, die Informationen filtern zu wollen, die das Land verließen. Immer wenn ich Aljoscha-Bobs Nummer wählte, erklang eine automatische Ansage. »Verehrter Telefonbenutzer«, sagte eine heisere Russin, »Ihr Versuch, eine Verbindung herzustellen, ist gescheitert. Da kann man nichts machen. Bitte legen Sie auf.«
    Mein Versuch, eine Verbindung herzustellen, war gescheitert. Besser hätte man es nicht sagen können, oder?
    Anders als mein Geliebter Herr Papa im Jahr 1943 hielt ich es keine vier Tage unter meinem Bett aus. Nach ein paar Stunden überkam mich der Hunger, und ich kroch wieder hervor, um beim Zimmerkellner Buffalo Wings und eine Flasche Laphroaig zu bestellen. Rund herum war alles still und leer. Ich schaltete meinen Laptop ein, aber offenbar war auch das Internet von höherer Stelle abgeschaltet worden. Mir blieb nur das Fernsehen. Die internationalen Nachrichtensender hatten entschieden, dass die verzweifelte Lage der Republik Absurdsvanï für den Durchschnittszuschauer zu unappetitlich und undurchsichtig war, und hatten sich ans warme Mittelmeer begeben, wo

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