Snack Daddys Abenteuerliche Reise
eines Hubschraubers der Vereinigten Staaten zu gehen.«
»Er ist ganz anders als sein Vater«, sagte Aljoscha-Bob. »Er ist kein Mörder. Er hat am Zufallscollege Multikulti studiert. Sag’s ihnen, Weiner.« Er sah sich nach unserem Kommilitonen um, aber Weiner war nirgendwo zu sehen.
»Geh ohne mich«, riet ich Aljoscha-Bob. »Du musst nicht hier bleiben. Geh. Ich komme hier schon irgendwie raus.«
»Du wirst hier verrecken«, sagte Aljoscha-Bob. »Du verstehst überhaupt nicht, was los ist.«
Ich sah ihn an und überlegte, ob seine Bemerkung mich wütendmachen sollte. Verstand ich, was los war? Mein Verständnis kannte Grenzen, aber meine Freundschaft zu Aljoscha-Bob kannte keine. Vor mir stand mein Freund, klein und gramzerfressen, ein 31-jähriger Mann, der 20 Jahre älter wirkte, als hätte ihn jedes in Russland verbrachte Jahr vier weitere gekostet. Warum war er hier? Warum hatte er beschlossen, mein Bruder und Hüter zu werden?
»Ich habe Sehnsucht nach Swetlana«, sagte Aljoscha-Bob. »Du hast nie ganz kapiert, wie sehr ich sie liebe. Du glaubst, am Ende geht es nur um Politische Ökonomie, aber das ist nicht wahr. Du hältst sie für eine Nutte, die auf einen Pass aus ist, dabei liebt sie mich mehr, als du ahnst, mehr als mich jemals eine Frau geliebt hat.«
»Sir.« Ein Marine legte mir die Hände auf die Schultern, wie um mich auf ein religiöses Gewaltritual vorzubereiten.
»Geh«, sagte ich. »Ich bin nicht so hilflos, wie du denkst. Geh zu deiner Swetlana. Du hast in allem Recht. Irgendwann sehen wir uns in Brüssel wieder.«
Aljoscha-Bob breitete seine Arme aus, überlegte es sich dann anders, wandte sich ab, damit ich seine Tränen nicht sah, und schritt auf die Glasfassade von ExxonMobil zu, die unter der Ankunft eines weiteren gewaltigen Chinook erzitterte. Meine Beine gaben nach, beinahe wäre ich auf den Marine vor mir gefallen (ein Latino, so hübsche Wimpern!), als ein Paar anderer amerikanischer Hände mich am Kragen packte und auf einen Ausgang zusteuerte, eine Öffnung im Stacheldrahtverhau, die groß genug für mich war.
21
Sanfte Überredungskunst
Ich hatte Aljoscha-Bob am letzten Tag unseres ersten Semesters am Zufallscollege kennen gelernt. Ich konnte kaum glauben, dass ich nach 100 Tagen der Unterweisung an einem amerikanischen College so gute Noten bekam (im Durchschnitt 3,94 von 4 möglichen Punkten) und mir ein stotterndes weißes Mädchen mit schwitzigen Flossen hinter einem Bierlaster unauffällig (aber monokulti) einen runtergeholt hatte.
Es war Mitte Dezember, und der Campus im Mittleren Westen war nicht schneebedeckt, sondern völlig eingeschneit. Die meisten Studenten waren schon an die Ostküste oder nach Chicagoland abgereist, um die Kwanzaa-Ferien bei ihren Familien zu verbringen; wir wenigen Dableiber torkelten bekifft und besoffen auf dem Campus herum und suchten nach menschlicher Wärme. Damals hatte ich die Manteltaschen immer voller Schinkenbrote (dick mit Majonäse bestrichen) und tütenweise Tortillachips, während meine froststarren Finger einen Joint umklammert hielten, an dem ich mit ungeheurer Gier und Gewalt zog. In diesem Jahr war mir zum ersten Mal Marihuana begegnet, und ich war total abhängig.
Tiefe Nacht. Zwei Uhr morgens. Irgendwo wartete ein bequemes amerikanisches Bett auf mich, aber ich wollte noch nicht nach Hause. Der Stolz des Campus war eine wahrhaft prunkvolle Kapelle in naivem maurischem Stil, vor der ich des Nachts immer stand, Joint auf Joint schmauchte und mir das bessere Leben ausmalte, das uns nach dem Tod erwartete (man schrieb das Jahr 1990, Zeit der Perestroika, und viele nachdenkliche Russen hofften, dass es einen Gott gäbe). Aber injener Nacht mochte die Kapelle mir ihre wohlgehüteten presbyterianischen Geheimnisse nicht enthüllen – in welches Verhältnis musste ich Eifer und gute Taten mischen, um einen Platz in jenem Teil des Paradieses zu erlangen, der für die Halter amerikanischer Pässe reserviert war? In jener Nacht stand ich einsam vor der Erkenntnis, dass nach unserem Tod nichts von unserem Wesen bleibt und sich am Ende alles, was Mischa Vainberg ausmachte, mit den Moden und Marotten seiner Epoche in Luft auflösen musste und kein einziges Flackern seines schweren, traurigen Glanzes überleben würde, kein feuchter Fleck, um den die ihm Nachgeborenen sich versammeln konnten, um seines Lebens und seiner Zeit zu gedenken.
Ich zitterte vor Angst und Zorn und hielt mich sorgenvoll mit beiden Armen umfangen,
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