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Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Snack Daddys Abenteuerliche Reise

Titel: Snack Daddys Abenteuerliche Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Shteyngart
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warum sie an einem Autoskooter für Kinder hing und wie bitte ausgerechnet diese Autoskooteranlage hier mitten in Absurdistan gelandet war statt auf irgendeinem verstaubten Jahrmarkt in der türkischen Provinz – wie viel mehr hätte ich da über diesen Türken und sein Land erfahren, wie viel weniger wäre ich geneigt gewesen, seine Kebab schlingende, Atatürk liebende repressive Art abzulehnen. Es könnte ja für Mischas Kinder lehrreich sein, ihre Sommer in einem türkischen Seebad am Schwarzen Meer zu verbringen, in der Sonne zu liegen und mehr über ihre düsteren muslimischen Vettern zu erfahren. Ich nahm mir vor, Swetlana in Petersburg anzurufen, damit sie alles in die Wege leitete.
    Gedankenverloren und bedrückt wanderten Nana und ich nach dieser Geschichtsstunde über eine Mole, die verloren zwischen zwei schiefen Ölbohrtürmen auf eine riesige rosa Muschelschale zuführte. Die Muschelschale hatte einst als Amphitheater gedient und nun eine gewinnbringendere Verwendung als Strandlokal namens »Die Dame mit dem Hündchen« gefunden. Obwohl gerade Essenszeit war, gab es keine Gäste außer uns, und das Personal war an einem großen rundenTisch eingeschlafen, vor allem Männer mittleren Alters in durchsichtigen weißen Hemden, die Köpfe in den Händen vergraben. Müde blickten sie uns an, verärgert, dass wir ihre Mittagsruhe störten. Wir bestellten Tomatensalat, in Olivenöl ertränkt. So buntes Gemüse hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich packte meine Gedärme, wandte mich von Nana ab und begann mich zu wiegen wie meine schlimmsten Feinde, die Chassidim.
    »Mmm«, sagte Nana. »Frisch, ganz frisch.«
    Sie schenkte sich ein türkisches Bier ein, und ich tat es ihr nach, nur dass ich noch ein Glas Black Label hinterherkippte. Eine alte Kellnerin in einem fleckigen Minirock und einer poppigen Strumpfhose näherte sich, zwei Teller mit je acht vollkommen quadratischen Störkebabs in den Armen. Ich sah zu Nana hinüber, aber sie spießte gerade mit ihrer riesigen Gabel ihr erstes Kebab mit solcher Hingabe auf, dass sie mich kaum beachtete.
    Mein Geist gab den Dienst auf, der Gifthümpel begann zu hümpeln, aber ich wusste noch nicht, welche Sorte von Giftstoffen freigesetzt werden würden – kalte Melancholie oder das abgefuckte Aroma der Bronx. Die Störkebabs hatten die Farbe eines indischen Chicken Tikka, an den Rändern waren sie verbrannt, so schwarz wie das Nichts, aber ihr Geschmack war mehlig und zart.
»Fuck, fuck, fuck«
, flüsterte ich anerkennend. Die Fischsäfte sammelten sich auf meinem Kinn und rannen ölig auf den Teller, das Tischtuch, meine Jogginghosen, auf den gekachelten Boden der »Dame mit dem Hündchen«, ins fast erstickte Kaspische Meer, über die halb verhungerte Wüste der Inneneinrichtung und auf den Schoß meiner Nana, die schweigend vor mir saß und aß.
    Mehr Fisch wurde aufgetragen. Ich putzte alles weg. Ich spürte meines Vaters Hände auf mir. Wir zwei beiden. Wieder vereint. Papa besoffen. Ich scheu, aber neugierig. Die ganze Nacht würden wir aufbleiben. Mamis Drohung würden wir in den Wind schlagen. Wie konnte man an die Schule am nächsten Morgen denken, wenn es galt, die Hosen herunterzulassen und den antisemitischen Nachbarshund voll zu pissen? In meinem Mund, meiner Nase, meinen Ohren konnte ich die Wodkafahne meines Vaters spüren, drängte meinen teigigen an seinen kratzigen Körper, beide schwitzten wir in der überheiztenGhettoluft einer Leningrader Wohnung mitten im Winter und ertranken in unseren seltsamen atavistischen Aufwallungen aus Scham und Erregung zu gleichen Teilen.
    Ich bestellte eine Portion der zentralasiatischen Brotfladen, die man
lipioschka
nennt, und stippte damit die Störsäfte auf, die noch auf meinem Teller schwammen. Bier und Black Label waren alle; stattdessen stand frische Melone auf dem Tisch, die so orange leuchtete wie die Fischkebabs, nur war sie pappsüß statt salzig. Ich legte mir die kühlen Schnitze auf das entzündete Zahnfleisch und schlang die Melone hinunter, und bevor sie sich in meiner Mitte auflöste und verschwand wie alles, was ich je zuvor gegessen hatte, überzog sie mir die Kehle mit orangefarbenem Schaum.
    Ich sah zu Nana auf. Sie zitterte vor Glück. Ihre dicken, kernigen, aufgesprungenen Mädchenlippen waren tiefrot angelaufen, befleckt von allen verfügbaren Säften, nur nicht von meinen. Sie schien lebendiger als alles um sie herum, und ihre Lebendigkeit gab den Ölbohrtürmen hinter ihr einen

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