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Snapshot

Snapshot

Titel: Snapshot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Robertson
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zuckte nicht mal mit der Wimper, Harkins zählte im Kopf bis fünf, bis er Winter mit einem stummen Nicken durchwinkte. Immerhin. In den inneren Zirkel würde er niemals vordringen. Sie hielten nicht nur die Eingeborenen auf Abstand, sondern auch die fette Beute unter Verschluss, auf die Winter es abgesehen hatte, aber es war besser als nichts. Er schlich bis zur größten Lücke im Spalier, hockte sich auf den Arsch und zog das Handy aus der Tasche. Mal sehen, wie weit man mit sechs Megapixeln aus neun Metern Entfernung kam.
    Die irritierten Blicke, die ihm einige Cops von oben herab zuwarfen, registrierte er durchaus. Er musste darauf hoffen, dass ihn die meisten zumindest vom Sehen kannten. Und dass sie sich nicht fragten, warum er seine Arbeit mit einem Mobiltelefon verrichtete statt mit der üblichen sündteuren Ausrüstung. Aber eigentlich war ihm das alles egal. Für ihn gab es nur noch den toten Cairns Caldwell.
    Weit aufgerissene Augen, gefroren in einer ewigen Schockstarre, ein heller Schopf, der in ein feuerwehrrotes Blutmeer hing, weit ausgebreitete Arme, als hätte er vergeblich um Gnade gebettelt. Hätte einer wie Cairns Caldwell nicht damit rechnen müssen, dass irgendwo da draußen eine Kugel mit seinem Namen drauf herumschwirrte? Bei seinem Job gehörte das schließlich zum Berufsrisiko. Doch der Blick, mit dem Caldwell in die Unendlichkeit starrte, sprach eine andere Sprache: Damit hatte er nicht gerechnet, nicht im Entferntesten. An der Spitze der Hackordnung, da, wo Mr. Caldwell zu Hause war, hielt man sich für unantastbar. Jetzt hatte ihn jemand so was von angetastet.
    Winter schraubte die Schärfe der iPhone-Kamera komplett rauf, aber das brachte überhaupt nichts, und so regelte er die Einstellung wieder etwas herunter. Wenn er Glück hatte, konnte er mit den Gerätschaften im Labor oder mit seinem eigenen PC noch ein bisschen was aus den Bildern herausholen. Immerhin war Caldwells schicker Anzug deutlich zu erkennen. Mindestens achthundert Mäuse, schätzte Winter. Ein dicker Blutspritzer verschandelte das gestärkte weiße Hemd, über dem offenen Hemdkragen gähnte der zu einem stummen Schrei geöffnete Mund. Immer wieder liefen Beine und Schuhe durchs Bild, nahmen ihm die Sicht oder ordneten sich zu einem Rahmen aus Uniformstoff.
    Als sich eine größere Lücke bildete, holte er das Loch im Kopf des Drogenbarons möglichst nah heran. Ein sauberes, rundes Loch, aus dem ein dunkles Rinnsal floss– Caldwells Leben. Genau das hab ich jetzt gebraucht, dachte Winter, und dafür schämte er sich nicht im Geringsten. Nicht mal ansatzweise. Er wusste, was für ein Mensch Caldwell war, und er würde sich ganz sicher nicht für seine Gefühle entschuldigen. Er hatte ins Schwarze getroffen. Die Bank geknackt. Bingo. Ein Satz aus einem Interview mit Metinides flimmerte durch sein Hirn: » Ich durfte Zeuge des Hasses und der Bosheit der Menschen werden.«
    Winter tat, was er konnte. Immer und immer wieder drückte er ab, voller Wut auf die quälend langsame Auslösegeschwindigkeit der Handykamera, die zwischen den einzelnen Bildern eine halbe Ewigkeit verstreichen ließ. Augen, Mund, Schrei, Blut, Hände. Cops, Forensiker, Umfeld. Augen, Augen, Augen. Die Welt schrumpfte zusammen auf den fünf mal zweieinhalb Zentimeter großen Bildschirm in seinen Händen. Er fing die Mienen der Cops und Spurensicherer ein, ein Flickenteppich aus versteinerten Gesichtsausdrücken. Wut, Angst, Besorgnis, Entschlossenheit, Belustigung, vielleicht auch ein wenig Befriedigung.
    Instinktiv wirbelte er auf dem Arsch herum und betrachtete die Menschenmenge hinter der Reihe der Polizisten. Kaum jemand interessierte sich für ihn. Die allermeisten Gaffer gafften über ihn hinweg, um einen Blick auf den Mann mit dem Loch im Kopf zu werfen.
    Manche wirkten wie betäubt. Einige wenige lachten. Fast alle lechzten nach einer guten Geschichte für später, beim Abendessen oder im Pub. Sie reckten den Hals und zeigten mit dem Finger, sie rissen die Augen auf und leckten jeden einzelnen Tropfen Blutdurst auf, der von ihren sabbernden Lippen floss.
    Winter knipste einen Mann mit hochrotem Gesicht, der sich eine Art Ringkampf mit seinem Nachbarn lieferte, um dem fantastischen Schauspiel, das nur ein paar Meter entfernt über die Bühne ging, den entscheidenden Zentimeter näher zu kommen. Ein offener Mund, Augen, die immer weiter aus den Höhlen traten. Eine Maske der Verzweiflung und Ungeduld, der Neugier. Ja, darum ging es hier:

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