Snapshot
leicht.«
» So, so, ich mach’s dir leicht? Wollen wir doch mal sehen.«
Kichernd wand sie sich aus seinen Armen, er zerrte sie zurück und drückte sie an sich. Am Anfang wehrte sie sich noch ein bisschen, aber kaum war ihm mal wieder aufgefallen, was für perfekte Brüste sie hatte, sank ihr Mund auf seinen, und ihr Körper verschwand aus seinem Blickfeld. Kein Wort mehr über tote Gangster, wenigstens für eine halbe Stunde. Wie sollte man auch über derartigen Kram nachdenken, wenn ihr dunkles Haar über sein Gesicht strich, wenn sich ihre weichen Kurven an seinen Körper schmiegten. Wenn ihn ihre Hände neckten und kitzelten und seine Haut elektrisierten, bis sich bei ihm etwas regte. Wenn er ihr zufriedenes Lächeln sah.
Erst als sie sich von ihm hinunterrollte, als sie neben ihm lachte und nach Luft schnappte, als ihr Haar an ihrer Wange klebte wie vorhin an der Wange der Frau, die um den toten Caldwell geweint hatte, ging es wieder los. Winter wusste, dass sie wieder damit anfangen würde, dass sie es nicht dabei belassen konnte.
» Sag mal, was hast du da eigentlich gemacht? Bei der Central Station?«
» Verdammt, Rachel, du weißt, was ich da gemacht habe.«
» Okay, war falsch formuliert. Also: Warum um alles in der Welt hast du das gemacht?«
» Ist es so weit? Holst du jetzt den Gummischlauch raus, und dann gibt’s ’ne kalte Dusche?«
» Wenn’s dich anmacht. Jetzt sag schon. Warum hast du das gemacht?«
» Das weißt du doch. Das hab ich dir doch schon zigmal erklärt.«
» Mann, Tony! Was soll die Ziererei? Ich bin’s, Rachel! Ich weiß doch sowieso schon fast alles. Den Rest kannst du mir auch noch erzählen.«
Winter seufzte. Darüber wollte er jetzt wirklich nicht reden. Und warum nicht? Weil er es selbst kaum kapierte. Also wie sollte sie es jemals begreifen? » Das ist halt mein… mein Ding. Mein Hobby. Ich fotografiere Unfälle und Gewalttaten und die dazugehörigen Leute. Das weißt du doch.«
» Ja. Aber ich hatte keine Ahnung, dass du so ein schwerer Fall bist.«
Winter schwieg. Das Miststück war genauso stur wie sexy.
» Wie hat das eigentlich angefangen?«
Das Miststück war nicht nur stur und sexy, sondern hatte auch noch die unangenehme Angewohnheit, Fragen zu stellen, die er ihr längst beantwortet hatte. Das hatte er nun davon, dass er mit einer Ermittlerin ins Bett ging. Aber das war es ihm wert. Er musste nur einen einzigen Blick auf sie werfen, um zu wissen, dass er nichts bereute.
Winter hatte ihr längst von Enrique Metinides erzählt, und von der Ausstellung, die er 2003 in der Londoner Photographers’ Gallery gleich neben dem Oxford Circus besucht hatte. Er war mit Jodi hingegangen, einer Blondine aus London. Für die Galerie oder für die Ausstellung hatte er sich kaum interessiert, für Jodi umso mehr, und Jodi hatte sich nun mal für die Galerie interessiert. Doch Metinides’ Fotografien hatten ihn schlicht umgehauen. Sie hatten irgendetwas tief in seinem Inneren berührt. So etwas hatte er noch nie gesehen.
Die Bilder waren kaum zu fassen. Eine Kombination aus maßloser Brutalität und überwältigender Schönheit. Autounfälle, Überschwemmungen, Selbstmorde. Entgleiste Züge, abgestürzte Flugzeuge. Feuer, Mord, Massenkarambolagen. Fünfzig Jahre Tod und Leiden in Mexico City– Metinides war immer zur Stelle gewesen und hatte Fotos für die mexikanische Boulevardpresse geschossen. Schon im Alter von elf Jahren hatte er damit angefangen. Wenn er nicht gerade Krankenwagen verfolgt oder zu Bränden gerannt war, hatte er vor dem nächsten Polizeirevier herumgehangen und zugesehen, wie die Kriminellen rein- und rausgezerrt wurden. Die Reporter und Fotografenkollegen nannten ihn El Niño, das Kind. Den Spitznamen wurde er nicht mehr los.
Seine Bilder waren intim und beunruhigend, quälend und poetisch. Kritiker meinten, er hätte das menschliche Gesicht des Unglücks gezeigt.
Und die Gesichter waren es, die Winter an die Nieren gegangen waren, nicht die Flammen oder die verkrümmten Trümmer der Autos und Flugzeuge. Nicht nur die Gesichter der Toten, sondern auch die der Schaulustigen. Metinides hatte die Gaffer begafft.
Ja, das Ganze war weit weg, in Mexico City, und zum Teil lange her, aber für Winter hätte es sich genauso gut hier und jetzt, in Maryhill oder Mount Vernon abspielen können. Die Bilder hatten an einen dunklen Ort in seinem Inneren gerührt. Er wusste es, Narey wusste es, aber weder er noch sie hatte es jemals ausgesprochen. Ihr
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