Snapshot
Scharlachrot. Der tote Drogenbaron auf der teergrauen Leinwand, die glasigen Augen nicht mutig auf den düsteren Himmel gerichtet, sondern beschämt niedergeschlagen. So trat er vor seinen Schöpfer.
Dazu die stämmigen, narbenübersäten Männer, die mit offenem Mund auf ihren gefallenen Beschützer starrten. Ein Standbild aus einem Kinofilm, ein Spiegelbild von Schuld und Angst. Zentimeter für Zentimeter kroch die Erkenntnis über ihre fassungslosen Gesichter: Die Vergeltung ist aus dem Dunkel getreten. Im tiefsten Inneren hatten sie schon immer gewusst, dass sie eines Tages für ihre Taten bezahlen würden.
Malky Quinns Säfte besudelten den Boden der Stadt, versickerten in der Glasgower Erde. Der helle Abglanz des Todes im Auge der Kamera, das perfekte Sinnbild einer unausweichlichen, blutigen, wohlverdienten Strafe. Ein Bild, das er nicht schießen konnte. Doch in Gedanken konnte er es ausarbeiten und für immer bewahren.
9
Mittwoch, 14. September
Winter sollte in der Pitt Street hocken, bis es dunkel war. Two Soups hatte sich lautstark über seinen Auftritt am Vortag an der Central Station beklagt, und daraufhin hatte man ihn wie einen Teenager zu Hausarrest verdonnert. Er durfte den ganzen Tag lang Akten ablegen, ans Telefon gehen und Papierknäuel in den Mülleimer katapultieren.
Zwei Stunden nach Rachels Abschied hatte er sich aus dem Bett und ins Büro gequält. Sie hatte ihm nicht mal verraten, ob sie zum Tatort oder in die Einsatzzentrale gefahren war. » Bis später«, hatte sie gesagt und ihn mit den Zeitungen und dem Fernseher allein gelassen.
Der Record hatte auf der kompletten ersten Seite mit der Geschichte aufgemacht und vier Seiten im Innenteil damit vollgeschmiert. Riesige, blutrünstige und qualitativ erbärmliche Fotografien, körnige, schlecht ausgeleuchtete Bilder von kaum erkennbaren Umrissen vor einem vagen Hintergrund, beschissene Schnappschüsse, für die Winter getötet hätte. Bei solchen Gelegenheiten verfuhren die Zeitungen strikt nach dem Masse-statt-Klasse-Prinzip. Und das galt auch für das Geschreibsel zwischen den Fotos: Spekulationen, Andeutungen, irrelevante Hintergrundinformationen, blütenreiner Schwachsinn, ein fetter Absatz nach dem anderen. Kreischende Überschriften, sensationsgeile Texte. Und der Record hatte noch die beste Berichterstattung zu bieten.
In der Pitt Street schnappte er sich eine Sun, die verlassen auf einem Tisch lag. Wie zu erwarten, bot sich dort mehr oder weniger derselbe Anblick. Dieses Mal waren es drei Seiten, aber hier war weniger definitiv nicht mehr. Statt Spekulationen brachte die Sun haltlose Mutmaßungen, statt Andeutungen blanke Verleumdungen, und auf den Schwachsinn setzte sie noch einen drauf. Zwei tote Unterweltbosse an praktisch ein und demselben Tag. Klar, dass den Klatschblättern da der letzte Rest Verstand flöten ging. In ihrer selbstgerechten Empörung malten sie die irrsinnigsten Schreckensszenarien an die Wand: eine Sensation, ein nie da gewesenes Spektakel! ABGESCHLACHTET , brüllte der Record, BLUTBAD , stimmte die Sun ein.
Neben den Fotografien der Sun nahmen sich die des Record geradezuals Meisterwerke aus. Die Sun war offenbar erst später eingetrudelt und nicht ganz so nah herangekommen. Winter war sich nicht mal sicher, ob sie wirklich den toten Quinn oder doch eher einen schlafenden Hund abgelichtet hatten. Trotzdem ballerten sie die Fotos in Übergröße aufs Papier und verwiesen die Leser im Übrigen auf ihre Vorstellungskraft.
In seiner Verzweiflung schaltete Winter sogar das Radio ein. Den Dreck, den die Zeitungen gedruckt hatten, brachte Radio Clyde in mehr oder weniger hörbarer Form. Jetzt, wo Caldwell und Quinn tot waren, konnten die beiden keine Verleumdungsklagen mehr anstrengen– endlich durfte man aussprechen, was sie wirklich gewesen waren: Gangster, Dealer, Kriminelle, Drogenbarone. Der beliebte Euphemismus » stadtbekannter Geschäftsmann« wurde nicht mehr benötigt, und die Medien hatten sichtlich Spaß an ihrer neu gewonnenen Freiheit. Quinn wurde als Hauptverdächtiger im Mord an Barney Reid bezeichnet, Caldwell wurde die Verantwortung für » eine Reihe ungelöster Bluttaten« zugeschrieben.
Vom Ende der Kinnear Road meldete sich ein Reporter, der in leisem, beinahe ehrfürchtigem Tonfall erzählte, wie schockiert die Bewohner dieser ruhigen Straße im East End seien, wie fassungslos und beunruhigt angesichts der Tatsache, dass es ausgerechnet einen aus ihrer Mitte erwischt hatte. Leider
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