Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Snapshot

Snapshot

Titel: Snapshot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Robertson
Vom Netzwerk:
Blut: Sangriarot, Burgunderrot, ein Stich ins Braun. Oder man roch gebranntes Ziegelrot, kühles Falunrot. Man schmeckte auf heißer Flamme gegrilltes Kardinalrot oder kupferartiges Terrakottarot, bitter wie Zwei-Pence-Stücke.
    Das Blut, das bei einem Selbstmord aus aufgeschlitzten Handgelenken fließt, ist dunkel und düster, denn durch die Venen strömt sauerstoffarmer Saft. Das Blut eines Menschen, der mit Zyanid vergiftet wurde, leuchtet roter als rot, da der Körper sich den Sauerstoff nicht mehr einverleiben konnte. Wer das Blut kennt, wer es liebt, kann Lavarot von Rubinrot, Krapplack von Koralle unterscheiden. Ein Blick genügt, um zu wissen, wie lang es schon der Luft ausgesetzt war, wo es nicht atmen kann, wo es verkümmert und stirbt wie ein gestrandeter Fisch oder eine entwurzelte Rose.
    Dieser Typ lag in einer Sangriapfütze. War das jetzt besonders passend oder eher ironisch? Schließlich kam das Wort » Sangria« von der spanischen Bezeichnung für » Blut«. So oder so blutete er einen vollmundigen Rioja, rauchig und würzig, ein herrliches Bouquet.
    Er war Anfang dreißig. Kurz geschnittenes Haar, das wohl davon ablenken sollte, dass ihm selbiges allmählich ausging. Eine Narbe vom linken Ohr bis hinab zur Kieferpartie, etwa sieben Zentimeter lang, gefärbt von verhaltenem, etwa eine Stunde altem Ziegelrot. Ein offener Mund, aufgeklappt wie ein rostiges Scharnier, eine kaputte Fliegenfalle, erstarrt, bevor er schreien konnte.
    Winter stellte auf Kopf und Wunde scharf, auf den Krater, den die Kugel des Scharfschützen in den Schädel gesprengt hatte. Der Tod hinter der Linse. Die trübe Septembersonne verlieh den Bildern einen gedämpften Anstrich, eine trostlose, niedergeschlagene Stimmung. Er brachte einen Tageslicht-Aufhellblitz an, um die Szene in ihrer ganzen Pracht auszuleuchten. Farben fluteten das Objektiv und füllten den Sucher mit allem, was er wollte. Er drückte ab, drückte wieder und wieder ab.
    Er bekam nicht mit, was die anderen redeten. Genau wie an der Central Station tauchte er in seiner eigenen kleinen Welt des Todes unter. Er hörte das Blut, es rauschte in seinen Ohren und pochte in seinem Herzen. Er sah das Blut, das bereits auf dem Gesicht des Toten trocknete und sein weißes Langarmhemd getränkt hatte. Blut umgab ihn wie ein samtenes Kissen, Blut sickerte in seine Seele.
    Teure Klamotten, Designerzeug, die Coolness des schlechten Geschmacks, von italienischen Modeschöpfern am Fließband hergestellt und von überbezahlten Fußballern getragen. Mr. Loch-im-Kopf hatte seinen Reichtum zur Schau gestellt wie ein Ehrenabzeichen.
    Sein Gesicht sprach von einem Leben auf der Straße der Banditen. Das leuchtende Sonnenstudiobraun, die straffe Haut sagten: Nachtclub-Aufreißer. Die Narbe rief: Harter Kerl in einer harten Stadt. Dann die großen, kalten Fischaugen, die schließlich einsehen mussten, dass das Licht am Ende des Tunnels in Wirklichkeit ein Laster war, der ihnen mit voller Wucht entgegenrauschte. Augen, die brüllten: Hilfe.
    Das Hemd stand fast bis zur Hüfte offen, vielleicht war es aufgerissen worden. Irgendwer hatte den Typen zu Brei geschlagen, hässliche rote Schwellungen auf der Brust zeugten von Fausthieben oder Fußtritten. Winter stellte nacheinander auf die verschiedenen Prellungen scharf, begleitet vom pausenlosen Klingeln der Alarmglocken in seinem Hinterkopf. Das Ganze erinnerte ihn an irgendetwas, aber woran? Auch die Handgelenke fotografierte er, wo die Haut gerötet und zerschlissen war, die üblichen Folgen strammer Fesseln.
    Eine Stimme in seinem Rücken ließ seine Trance wie eine Seifenblase zerplatzen.
    » Sind Sie fertig mit dem hier?«
    Nein, dachte er, ganz und gar nicht. Er wollte für immer hierbleiben, Auge in Auge mit der Ewigkeit, in die der Tote entglitten war. Er wollte vor ihm stehen und schauen, wer zuerst blinzelte. Er wollte zusehen, wie sich seine Seele verflüchtigte, wie sein Fleisch abblätterte.
    » Sind Sie fertig, Winter?«
    Diesmal erkannte er die Stimme: Alex Shirley. Der Superintendent klang gereizt und ungeduldig. Winter musste sich wohl oder übel von der Eintrittswunde losreißen, die finstere Grimasse vom Gesicht wischen und sich seinem Boss zuwenden. » Zwei Minuten noch, Sir.«
    » Eine. Ich muss wissen, wer diese Arschlöcher waren.«
    Winter wich einen Schritt zurück, um eine letzte In-situ-Ganzkörperaufnahme zu schießen, das Opfer eingerahmt von Polizisten mit ernsten Gesichtern. Dabei hob er das Objektiv ein paar

Weitere Kostenlose Bücher