Snapshot
Schönheit zu finden. Salim Abbas, ein Junge asiatischer Abstammung, war in Pollockshields von einer weißen Jugendgang totgeprügelt worden. Sie hatten ihn durch die Straßen gejagt und mit allem möglichen Zeug bombardiert, bis sie sich endlich wie ein Rudel Hyänen auf ihn gestürzt und sich mit Fäusten und Stiefelspitzen ans Werk gemacht hatten. Gut möglich, dass die kleinen Arschlöcher ihm bloß eine ordentliche Abreibung verpassen wollten, aber Salim war einfach liegen geblieben.
Die Fotografie zeigte jede Prellung und jede Risswunde, den blutigen Mund, die zertrümmerten Zähne und eingetretenen Rippen und auch die winzige Pfütze aus Falunrot, die sich unter Salims pechschwarzem Haar gebildet hatte, wo sein Schädel auf den Asphalt gekracht war. Um sich vor den Angreifern zu schützen, hatte er sich in Embryonalstellung zusammengerollt, doch als Winter eingetroffen war, nach den vergeblichen Wiederbelebungsversuchen der Sanitäter, hatte er flach auf dem Boden gelegen. Winter konnte nur noch die Verletzungen dokumentieren und hilflos den Kopf schütteln.
Für die misshandelte Ehefrau in der untersten Reihe hatte dasselbe gegolten. Blutige Schnitte durchzogen ihr Gesicht, zugefügt von einem besoffenen Gatten und einem zerbrochenen Glas. Hätten ihre Nachbarn nicht die Schreie gehört und die Polizei informiert, wäre der Übergriff in der adretten Wohnung in Newton Mearns wohl unentdeckt geblieben. Maries Gesicht glich einer Straßenkarte aus aufgeschlitzter Haut, und ihre Augen drückten ihre ganze Scham aus, ihre Scham und ihre Verbitterung.
Mit dem Chaoten, der gleich daneben hing, hatte sie wenig gemeinsam. Im Schädel des Typen steckte ein Schraubenzieher, aber so was gehörte für ihn nun mal zum Berufsrisiko. Winter hatte den kleinen Wichser in der Notaufnahme des alten Southern General fotografiert. Vor allem der mürrische Ausdruck des pockennarbigen Gesichts und die triumphierend erhobene Faust machten das Bild zu etwas Besonderem. Der andere sieht noch viel schlimmer aus, hatte er gesagt.
Über dem Typen war eine Junkiemutter kurz nach einer Razzia in der Wohnung ihres Lebensgefährten zu sehen. Winter war dort aufgekreuzt, um vier Tüten Ecstasy zu knipsen, die unter der Spüle gefunden worden waren. Die Frau hieß Ashleigh. Sie war frühzeitig gealtert– von ihrer ehemaligen Schönheit war kaum noch etwas zu sehen–, und sie hatte die Cops angeschrien, weil sie ihren Typen mitgenommen hatten, und wie sollte sie jetzt klarkommen, allein mit ihrer Tochter? Die Kleine war fünf oder sechs Jahre alt gewesen, ein hübsches Mädchen in zerschlissenen Klamotten, das dringend mal ein Bad gebraucht hätte.
Winter hatte sich bei Ashleigh erkundigt, ob er sie mit ihrer Tochter fotografieren dürfte. Anscheinend war ihm seine Gier anzumerken gewesen, denn Ashleigh hatte sofort hundert Pfund verlangt. Addison, der ebenfalls vor Ort gewesen war, hatte ihr dafür ins Gesicht gelacht, doch Winter hatte zugestimmt. Gewissermaßen.
Er war gegangen und fünfundzwanzig Minuten später aus dem nächsten Supermarkt zurückgekehrt, mit vier prallen Tüten, die er vor Ashleigh hingestellt hatte. Ware für hundert Pfund: Milch, Brot, genug Essen für eine Woche, darunter viel frisches Obst und Gemüse, außerdem ein paar T-Shirts und andere Kleidung für das Mädchen. Die Mutter hatte geflucht und geschimpft, aber schließlich eingewilligt, als er ihr klargemacht hatte, dass sie ansonsten gar nichts kriegen würde. Sie hatte nicht kapiert, dass er das Zeug so oder so dagelassen hätte.
Aber wütend war sie trotzdem gewesen, denn sie hatte nicht bekommen, was sie wollte. Deshalb starrte sie mit beleidigtem Blick von Winters Wand herab. Ashleigh Morgan, dürrer Junkie-Chic mit müden Augen und maroden Zähnen, daneben die glücklich lächelnde Tiffany, damals sechs Jahre alt. Hoffentlich waren die beiden gesund und munter. Ein paar Tüten ordentliche Lebensmittel hielten nicht lange vor.
Neben der wütenden Ashleigh und ihrer Tochter hing die Schwarz-Weiß-Fotografie einer leeren Straße.
Die Arlington Street lag im West End, sie zweigte von der Woodlands Road ab. Eine lange, schmale Straße. Auf der einen Seite traditionelle, grau verputzte Mietshäuser, auf der anderen ihre modernen Pendants, unten rostrot, oben cremefarben. Am Anfang der Fahrbahn war das Schild zu sehen, das die Straße als verkehrsberuhigt auswies, rechts und links daneben etwa acht geparkte Wagen. Sonst nichts. Keine Menschen, kein Blut,
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