Sniper
du jemanden siehst, der sich deinen Leuten mit einer IED in der Hand nähert, dann hast du allen Grund zu feuern. (Der Umstand, dass ein Iraker eine Waffe mit sich führte, bedeutete nicht zwangsläufig, dass er erschossen werden durfte.) Die Einsatzregeln waren klar, und in den meisten Fällen war die Gefahr offensichtlich.
Aber es gab auch Momente, in denen die Sache nicht ganz so klar war, in denen zum Beispiel jemand ziemlich sicher ein Aufständischer war, möglicherweise auch Böses im Schilde führte, aber es immer noch Zweifel bezüglich der Umstände oder der Umgebung gab. Etwa wenn er sich in eine andere Richtung als die Truppen bewegte. Oft schien sich ein Mann lediglich vor seinen Freunden produzieren zu wollen, in völliger Unkenntnis darüber, dass ich ihn beobachtete oder dass amerikanische Truppen in der Nähe waren.
In solchen Situationen gab ich keinen Schuss ab.
Das durfte ich auch gar nicht – und ich hatte nicht vor, mich selbst in den Dreck zu ziehen. Wenn man nämlich einen ungerechtfertigten Schuss abgab, lief man Gefahr, wegen Mordes angeklagt zu werden.
Ich saß oft da und dachte mir: Ich weiß, dass dieser Mistkerl nichts Gutes im Sinn hat; erst neulich sah ich ihn da unten an der Straße diese und jene Schandtat begehen, aber jetzt macht er gerade nichts und wenn ich ihn erschieße, dann kann ich das vor den Anwälten nicht rechtfertigen. Da schmore ich lieber im eigenen Saft . Wie gesagt, es gibt für jeden Mist Bürokratie. Jeder bestätigte Todesschuss wurde dokumentiert, mit Beweisen untermauert und musste von einem Zeugen beglaubigt werden.
Also verzichtete ich auf den Schuss.
Das geschah nicht oft, vor allem in Falludscha, aber ich war mir immer der Tatsache voll bewusst, dass ich mich theoretisch für jede Tötung vor Anwälten verantworten musste.
Ich kam zu dem Schluss, dass ein Schuss immer dann nicht infrage kam, wenn ich nur dachte , mein Ziel würde etwas Böses im Schilde führen. Die Person musste schon etwas Böses tun .
Selbst unter dieser Prämisse gab es noch genügend Ziele. Ich erschoss durchschnittlich zwei bis drei Menschen am Tag, manchmal auch weniger, manchmal deutlich mehr, und es schien kein Ende in Sicht.
Einige Blocks entfernt von den Dächern, auf denen wir uns verschanzt hatten, ragte ein gedrungener Wasserturm in den Himmel. Er sah aus wie eine breite, gelbe Tomate.
Wir hatten den Turm schon vor einer Weile hinter uns gelassen, als ein Marine beschloss, genau dort hinaufzuklettern und die irakische Fahne von dem Gitter zu entfernen. Während er kletterte, begannen die Aufständischen, die sich während des vorausgegangenen Angriffs bedeckt gehalten hatten, auf ihn zu schießen. Binnen weniger Sekunden war er angeschossen und saß in der Falle.
Wir kehrten um und durchkämmten die Straßen und Dächer, bis wir die Männer entdeckt hatten, die auf ihn schossen. Als wir den Bereich gesichert hatten, schickten wir einen unserer Leute hoch, um die Fahne zu holen. Wir schickten sie dem Marine ins Lazarett.
Hasenfuß zeigt sein wahres Gesicht
Kurze Zeit später waren ein Kerl, den ich Hasenfuß nennen werde, und ich als Team auf der Straße, da kamen wir auch schon in Kontakt mit Aufständischen. Wir suchten Unterschlupf in einer flachen Nische in der Mauer gleich neben der Straße und warteten darauf, dass der Kugelhagel abebbte.
»Wir schlagen uns durch, zurück zum Ausgangspunkt«, sagte ich zu Hasenfuß. »Du zuerst. Ich gebe dir Deckung.«
»Alles klar.«
Ich lehnte mich nach vorne und gab ihm Feuerschutz, wodurch ich die Iraker zurückzwang. Ich wartete einige Sekunden, um Hasenfuß ausreichend Zeit zu geben, eine gute Position einzunehmen, damit er nun mich decken konnte. Als ich dachte, dass genug Zeit verstrichen war, sprang ich aus meinem Versteck und rannte los.
Es flogen jede Menge Kugeln umher, die aber nicht von Hasenfuß stammten. Sie kamen alle von den Irakern, die mit den Kugeln ihre Namen in meinen Rücken zu schreiben versuchten.
Ich fand Deckung, warf mich gegen eine Wand und glitt in Richtung eines Tors. Für einen Augenblick war ich verwirrt und fragte mich: »Wo ist Hasenfuß?«
Er hätte in der Nähe bleiben und auf mich warten sollen, damit wir uns zusammen unseren Weg freischießen konnten. Aber er war nirgends in Sicht. Hatte ich ihn auf der Straße übersehen?
Nein. Der Mistkerl war vollauf damit beschäftigt, sich seinen Spitznamen zu verdienen.
Ich saß in der Falle, festgenagelt von den Aufständischen und ohne
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