Snobs: Roman (German Edition)
wie durch Hexerei endlos wiederholte.
»Guten Tag, Mrs. Lavery«, begrüßte ich sie.
Sie drehte sich zu mir um, kramte aus irgendeinem fernen Winkel ihres Gedächtnisses die Erinnerung hervor, wer ich war, und nickte mir grüßend zu. »Guten Tag«, erwiderte sie tonlos und frostig.
Ich erfuhr später, dass sie mir zum Vorwurf machte, Simon bei den Broughtons eingeführt zu haben. Vermutlich mit einigem Recht. Heute ist es üblich, dass man jede Mitschuld an solchen Dingen achselzuckend mit der Aussage von sich weist, »es wäre sowieso passiert«, doch dieses Argument überzeugt mich keineswegs. Der größte Teil unseres Lebens besteht nicht in der Erfüllung eines unerbittlichen Schicksalsplans, der bei unserer Geburt schon feststeht, sondern ist das Ergebnis einer Reihe zufälliger Ereignisse. Wäre Edith Simon nie begegnet – oder wäre sie ihm erst dann begegnet, wenn sie schon ein Kind gehabt hätte –, halte ich es für höchst unwahrscheinlich, dass diese Dinge passiert wären. Doch sie ist ihm begegnet. Und es ist passiert. Und letzten Endes war ich es, der sie miteinander bekannt gemacht hatte.
»Haben Sie Edith in letzter Zeit gesehen?«, erkundigte ich mich. Das Gefühl, dass ihre Tochter und deren Geschichte wie Banquos Geist im Raum standen, rief bei uns beiden Unbehagen hervor. Ich hielt es für einfacher, die Situation durch offenes Ansprechen zu entschärfen.
»Nicht oft, nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber sie …« – sie zögerte –, »… die beiden kommen heute Abend zum Essen. Da werde ich wohl das Neueste erfahren.«
Ich nickte. »Dann grüßen Sie sie von mir.«
Doch Mrs. Lavery wollte mich noch nicht gehen lassen. »Sie kennen ihn, nicht wahr? Diesen neuen Mann.«
»Simon? Ja, den kenne ich. Nicht sehr gut, aber wir haben zusammen in einem Film gespielt. Er wurde in Broughton gedreht. So haben sie sich kennen gelernt.«
»Ja.« Sie starrte kurz auf den Boden. »Und ist er nett?«
Ich war gerührt. Mrs. Lavery versuchte sich zu zwingen, eine gute Mutter zu sein und sich bei der Beurteilung des neuen Beaus ihrer Tochter auf zeitlose Werte zu konzentrieren, obwohl wir beide wussten, dass Simon, auch wenn er der netteste Mann der Welt wäre, niemals ersetzen könnte, was mit Charles verloren gegangen war. »Sehr nett«, sagte ich. »Auf seine Art.«
»Vermutlich haben Sie Charles nicht viel gesehen? Seit das – alles passiert ist.«
»Doch, ich habe ihn gesehen. Ich war erst neulich mit ihm beim Lunch.«
Mrs. Lavery war überrascht. In ihren romantischen Vorstellungen von der Welt ihres Schwiegersohns hatte sie wohl unüberwindbarere Schranken errichtet, als in Wirklichkeit existieren. Auch konnte sie aus meiner Antwort schließen, dass ich Edith in ihrer Unvernunft möglicherweise nicht unterstützt hatte. Sie wurde merklich freundlicher. Inzwischen war sie natürlich überzeugt, dass ihre Zuneigung für Charles aufrichtig war und ausschließlich auf seinen Qualitäten als Mensch beruhte. Das stimmte zwar nicht, aber ihre Gefühle waren deshalb nicht weniger tief empfunden. »Wie geht es ihm? Ich würde ihn so gern sehen, aber …« Sie verstummte kläglich.
»Ach, nun ja. Er würde Sie sicher auch gern sehen«, log ich. »Er ist immer noch ziemlich niedergeschlagen.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Sie seufzte müde und hoffnungslos. »Ich sollte jetzt los. Sie kommen um acht und ich habe noch nichts vorbereitet.«
Und sie verließ den Laden; wie unter einer Last gebeugt zog sie die Tür auf. Bei unserem letzten Zusammentreffen hatte sie mich an eine Figur aus einer spritzigen Komödie erinnert. Jetzt sah sie aus wie Mutter Courage.
Simon war untypisch nervös, als sie von der King’s Road nach rechts in die Elm Park Gardens abbogen. Jedes Mal, wenn sie an einer Ampel hielten, rückte er an seiner Krawatte herum, und als sie ihrem Ziel näher kamen, begann er seine Fingernägel sauber zu kratzen. Edith spürte, wie sie sich vor Gereiztheit verspannte. Sie konnte nicht sagen, ob er so beklommen war, weil er ihre Eltern für vornehmer hielt, als sie tatsächlich waren, oder weil er sich wegen seiner Rolle als Zerstörer ehelichen Glücks unwohl fühlte. Aber das war ja auch egal, sie wünschte sich nur, dass er sich entspannte, da der Abend unangenehm genug zu werden versprach.
»Was hast du denn?«
Simon lächelte nur und schüttelte den Kopf. Er wusste selbst nicht genau, warum er so ein flaues Gefühl in der Magengrube hatte, auch wenn er den
Weitere Kostenlose Bücher