Snobs: Roman (German Edition)
Höflichkeit zu zeigen, wie fürchterlich sie ihr Gegenüber fand. Sie konnte einer versammelten Gesellschaft das niederschmetternde Gefühl vermitteln, für nicht würdig befunden zu sein, und sich dennoch zu einem tadellosen Benehmen gratulieren. Dies ist natürlich die hinterhältigste Form von Gemeinheit, da sie jede Gegenwehr ausschließt. Selbst auf dem Höhepunkt der Feindseligkeiten wird das Podest moralischer Unantastbarkeit nie verlassen.
Edith betrachtete die drei vertrauten Gesichter und fragte sich, was sich da wirklich abspielte. Wurden hier neue Bündnisse geschlossen, die ihr künftiges Leben bestimmten? Würde sie die nächsten zwanzig Weihnachtsfeste in Gesellschaft dieser drei Menschen feiern? Würden Simon und ihre Mutter Brücken bauen und über die Kinder reden und irgendwann sogar Insiderscherze miteinander teilen, die niemand sonst begriff? So gut Simon auch aussah und so stark Ediths Verlangen nach ihm blieb, an diesem Abend stieß ihr doch auf, wie glanzlos sie alle waren.
In den letzten beiden Jahren hatte sie sich in den höchsten Sphären der englischen Gesellschaft bewegt, und bei näherer Betrachtung war sie überrascht, wie normal dies für sie geworden war – das heißt, bis sie sich selbst davon ausgeschlossen hatte. In Broughton hatte sie unter der Ereignislosigkeit, der Leere ihres Tagesablaufs gelitten. Doch jetzt, wo sie Broughton verlassen hatte, verging kaum ein Tag, an dem in der Zeitung nicht mindestens über einen ihrer Bekannten aus jenem Leben mit Charles berichtet wurde. Und in den Zeiten, als sie sich unablässig darüber beklagte, dass sie nie etwas unternahmen, hatte doch, wenn sie länger in ihren Erinnerungen kramte, eine Abendgesellschaft nach der anderen stattgefunden, bei der sie einem aus dem Kabinett oder aus der Oper oder auch nur aus den Klatschkolumnen
vage bekannten Gesicht gegenübergesessen hatte. Auch wenn Googie und Tigger sie zu Tode langweilten, kamen ihr dabei Dinge aus der Politik oder dem Königshaus bereits Tage oder sogar Wochen zu Ohren, bevor die Zeitungen darüber schrieben. Es wurde ihr zur Gewohnheit, Details aus dem Privatleben der Großen zu wissen, bevor sie allgemein bekannt wurden – falls sie je bekannt wurden. Sie und Charles waren nicht viel unterwegs gewesen, doch jetzt erinnerte sie sich doch an drei, vier Jagdausflüge im Winter und zwei Aufenthalte in anderen Adelshäusern im Sommer. Inzwischen kannte sie Blenheim, Houghton, Arundel und Scone. Diese Orte hatten für sie ihre geschichtliche Bedeutung verloren und waren zu Wohnstätten geworden, wo sich das Leben ihrer Kreise abspielte. In diesem Punkt war sie fast ehrlich – so ehrlich jedenfalls wie diejenigen, die der Schicht, in der Edith sich so kurz bewegt hatte, von Geburt an angehörten. Edith hatte sich die Tricks aristokratischer Respektlosigkeit perfekt angeeignet: Sie konnte so gut wie jeder Adlige in einen atemberaubend großartigen Saal von Vanbrugh stürmen, in dem überlebensgroße van Dycks hingen, ihre Handtasche auf einen Hepplewhite-Stuhl werfen und über den wahnsinnigen Verkehr auf der Autobahn schimpfen. Inzwischen wusste sie, wie sie auf diese Weise Zusammengehörigkeit bekunden konnte. Ein solches Verhalten besagt nichts anderes als: »Dieser wunderbare Raum ist für mich etwas ganz Normales, denn er ist mein natürlicher Lebensraum. Ich gehöre hierher, im Gegensatz zu anderen.«
Als Ediths Blicke nun auf Kenneth und Stella ruhten, auf ihren gerahmten Blumendrucken von Peter Jones, ihren Regency-Stilmöbeln, ihren bedruckten Vorhängen von Jane Churchill, da schien ihr, dass ihre Mitgliedschaft in jenem Club, wo sie sich in der Bibliothek von Wilton bei einem Wodka Tonic in einem Sessel zusammenringeln und eine Vogue durchblättern konnte, widerrufen worden war, ohne dass sie eine Benachrichtigung erhalten hätte. In einem seltenen Moment der Klarsicht begriff sie, dass sie mit ihrer Entscheidung für diesen Schauspieler keineswegs ein Fanal für ein wildes Boheme-leben gesetzt hatte; im Gegenteil – sie war in ihr ursprüngliches Biotop
zurückgekehrt. Sie begriff, dass Simon mit Stella, deren entferntem Cousin aus dem niederen Landadel oder Kenneth und seinen Geschäftsfreunden weit mehr gemeinsam hatte als Charles. Diese Welt, in der man im Allgemeinen unbeachtet lachte und weinte, war ihre wirkliche Welt. Diese Welt, in der sie aufgewachsen war und nun wieder leben würde. Zu Charles und Broughton und der Welt des Schlagabtauschs der Namen
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