Snobs: Roman (German Edition)
langsam das Gefühl, ihre Bemühungen, Henry zu unterhalten, käme dem Umwälzen riesiger Erdschollen gleich.
Er zuckte die Achseln und sah sich nach der Flasche um, um sich ein zweites Glas einzuschenken. »So ist die allgemeine Ansicht.«
Edith öffnete schon den Mund zu einem erneuten Versuch, schloss ihn dann aber wieder. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass ihr die gesellschaftliche Unbeholfenheit ihres Gegenübers zu schaffen machte. Mit endloser Mühe wird eine zähe, langweilige Konversation aufrechterhalten, nur um solche Dumpfbacken ihre Unzulänglichkeit nicht spüren zu lassen. Das Aberwitzige daran ist, dass diese Leute für ihre eigenen Defizite völlig unsensibel sind. Wenn Henry überhaupt bemerkt hätte, wie sehr das Gespräch dahinholperte, hätte er die Verantwortung dafür unverzüglich Edith zugeschoben, die keine interessanten Leute kannte. Bevor das Schweigen bedrückend wurde, kamen Charles und Jane zurück, und die restliche Zeit verging mit Klatsch über weitere Leute, denen Edith noch nie begegnet war.
»Was für ein schöner Abend«, sagte sie, als der Wagen vor der Wohnung ihrer Eltern hielt. Charles suchte gar nicht erst nach einem Parkplatz, also war ihm klar, dass der Abend kein sexuelles Nachspiel haben würde.
»Ich bin froh, dass es Ihnen gefallen hat. Tut mir Leid, dass wir so belagert wurden.«
»Das braucht Ihnen nicht Leid zu tun. Ich fand sie sympathisch«, log sie.
»Tatsächlich?« Er wirkte ein wenig besorgt. »Das freut mich.«
»Henry hat mir von Royton erzählt.«
Er nickte; hier bewegte er sich wieder auf heimatlichem Boden. »Ja, die Cumnors wohnen bei mir nebenan. Deshalb kenne ich sie auch.«
»Ich dachte, Henry und Sie wären Cousins.«
»Das stimmt. Aufgrund einer Heirat, die etwa 1830 stattgefunden hat. Aber eigentlich kenne ich die Cumnors, weil sie Nachbarn sind.«
»Klingt, als wäre Royton recht reizvoll.«
»Ist es auch. Ich weiß nicht, wie effektiv der gute alte Henry den Besitz verwaltet, aber das Haus ist ein Schmuckstück. Nun ja, die haben Geld wie Heu, da ist es im Grunde egal.« Offensichtlich war Charles überzeugt, er verwalte Broughton wahnsinnig effektiv.
Sie sahen einander an. Edith wünschte sich dringend, er würde sie küssen. Zum Teil deshalb, weil sie ihren Erfolg bestätigt haben wollte, zum Teil aber auch deshalb, weil sie ihn selbst gern küssen wollte. Er beugte sich unbeholfen vor und drückte seinen Mund auf den ihren. Seine Lippen waren hart und fest geschlossen. Dann setzte er sich wieder zurück. Ah, dachte sie. Mehr Philip als George. Nun ja. Was sie sagte, war hingegen: »Gute Nacht und noch einmal danke. Ich habe den Abend so genossen.«
»Gut«, sagte er, stieg aus und begleitete sie über die Straße zur Haustür, machte aber weder Anstalten, sie beim Abschied noch einmal zu küssen, noch schlug er ein weiteres Treffen vor. Eines muss man der Gerechtigkeit halber erwähnen: Bis zu diesem Moment war sich Edith nicht bewusst, dass sie sich von diesem Abend mehr erwartet hatte als die Bestätigung, dass Charles sie attraktiv fand, ihre
Gesellschaft genoss und sie öfter sehen wollte. Aber jetzt, nach dem banalen Ende der Begegnung, fühlte sie sich enttäuscht – wieder einmal war eine Chance vertan. Hier hatte sich eine großartige Gelegenheit geboten und sie hatte sie verpatzt, ohne ganz zu begreifen, wie. Mit dem Gefühl, versagt zu haben, schlich sie leise in ihr Zimmer, um ihre Mutter nicht aufzuwecken, die zwei Türen weiter in ihrem Bett lag und an die Decke starrte.
Sie hätte nicht so niedergeschlagen zu sein brauchen. Sie kannte Charles nicht und deutete seine Zurückhaltung falsch. Weil er allgemein als glänzende Partie galt, dachte sie, er teile diese Ansicht, aber dem war nicht so. Seiner Meinung nach lag die Verantwortung für den Abend nicht bei Edith, sondern bei ihm, und da er schüchtern war (nicht bis zur Unhöflichkeit, aber doch wirklich schüchtern), freute er sich sehr, auch wenn er es nicht richtig ausdrücken konnte, dass sie seine Gesellschaft anscheinend genossen hatte. Und als Charles die Wohnung seiner Eltern am Cadogan Square aufschloss, wärmte ihn das Gefühl, dass der Abend nicht verschwendet war. Er hatte Edith sehr gern. So gern wie keine Frau zuvor. Mit dem Respekt vor Heuchelei, den eine verlogene Gesellschaft fordert, bewunderte er Edith umso mehr, weil sie die Cumnors zu mögen vorgab, wo es doch offensichtlich war, dass zumindest Jane sie den ganzen Abend lang
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