Snobs: Roman (German Edition)
Parlamentarier zu sehen, für die Mrs. Thatcher – sonst keine Freundin der Aristokratie – ein gnädiges Lächeln übrig hatte. Wainwright war groß, fast schlaksig, und sah mit seinem liebenswürdigen
runden Gesicht und seinem schütteren Haar aus, als übe er schon für seine künftige Rolle als vertrottelter alter Kauz, doch dieser Eindruck täuschte. Er drehte sich zu mir um, lächelte und schüttelte mir die Hand, womit er an Höflichkeit drei zu null gegen Henry punktete; dann fuhren wir los.
Das Gespräch auf dem Weg zum Flughafen drehte sich um Politik, und ich amüsierte mich über die Gegensätzlichkeit meiner Mitreisenden. Tommy erläuterte die Gründe, warum seiner Meinung nach die Konservativen so drastisch abgesackt waren. Seine Argumente waren im Großen und Ganzen vernünftig, so dass sich darüber diskutieren ließ, doch Cumnor setzte nur einen Haufen lächerlicher Behauptungen dagegen, die alle herablassend, überholt und offensichtlich blind von seinem verstorbenen Vater übernommen waren (wie wohl auch seine Garderobe). Um ebenfalls etwas beizutragen, bemerkte ich, dass sich die Partei meinem Eindruck nach in ihrer Beziehung zu den Künsten nicht viel habe einfallen lassen.
Cumnor wuchtete seine Massen in meine Richtung. »Mein Lieber, aus wie vielen Leuten besteht der Sektor, den Sie ›die Künste‹ nennen? Doch wohl nur aus Tausenden, nicht aus Hunderttausenden oder Millionen. Wissen Sie, wie viele Mitglieder die Gewerkschaften haben? Die Wahrheit ist schlicht und einfach, auch wenn es Ihnen nicht passt, dass ›die Künste‹ überhaupt keine Rolle spielen.« Er lehnte sich wieder zurück, nachdem er den Punkt zu seiner Zufriedenheit eingestrichen hatte.
»Vierzig Millionen schalten jeden Abend den Fernseher ein, um herauszufinden, was sie denken«, sagte Tommy. »Was könnte eine größere Rolle spielen?«
Keinem von uns lag das Thema sehr am Herzen, doch ich bemerkte Henrys Gereiztheit, als Tommy für mich in die Bresche sprang. Henry hing den üblichen Illusionen der weniger intelligenten Mitglieder seiner Schicht an, dass es zu jedem Thema, vom Portwein bis zur Euthanasie, die »richtige« Meinung gibt und man sie nur kundzutun braucht, um Zustimmung zu ernten. Da solche Leute im Allgemeinen nur mit ihresgleichen reden, ist es in der Regel einfach, die Nase
vorn zu haben. Als Tommy Wainwright dieses Spiel nicht mitspielte, riskierte er beim geistig trägen Henry das Urteil, seit er ernsthaft Politik mache, sei er irgendwie kein »echter Gentleman« mehr – die Standardantwort auf eigenständiges Denken.
Nach unserer Ankunft am Flughafen und der Abwicklung der Formalitäten wurden wir zu einem kleinen Flugsteig gewiesen, wo uns die restlichen neun Mitreisenden begrüßten, darunter Lord Peter Broughton, Lord Uckfields wesentlich jüngerer Halbbruder, und Carolines Mann Eric Chase, mit dem ich bei der Verlobungsfeier kurz gesprochen hatte. Chase war ein überraschender Neuzugang zum Clan der Broughtons, ein Yuppie reinsten Wassers. Also ein aalglatter, aggressiver Managertyp, der kaum etwas anderes von sich gab als kapitalistische Plattitüden und Hinweise auf seine Mitgliedschaft im Brooks’s Club. Sein hervorstechendster Zug war eine fast krankhafte Grobheit, die ihn einerseits weniger bedauernswert, andererseits aber noch widerwärtiger machte; seltsamerweise flogen die Frauen auf ihn. Ich kann mir nicht vorstellen, warum, aber beim anderen Geschlecht hatte er (in krassem Gegensatz zu seinem eigenen) unbestreitbar großen Erfolg. Auf eine dandyhafte, übersättigte Weise sah er wohl gut aus, und seine Zufriedenheit mit seinem Äußeren (sowie vermutlich mit seiner glänzenden Partie) zeigte sich in seiner ständig wechselnden Garderobe, lauter übertrieben auf Figur geschnittene Kammgarn- und Tweedanzüge. Später erfuhr ich, dass sein Vater eine Führungsposition bei British Rail gehabt hatte. Caroline und er waren ein seltsames Paar, in ihrer politischen Einstellung und ihrer ganzen Lebenshaltung Welten voneinander entfernt. Mit dieser Heirat hatte er einen Rechtsruck und sie einen Linksruck vollzogen. Doch dies blieb ihnen beiden verborgen, da sie sich kaum miteinander unterhielten, wenn sie allein waren. So etwas kommt durchaus vor und es kann leicht geschehen, dass die Partner erst nach zehn oder zwanzig Jahren Ehe entdecken, welche Abgründe sie in grundsätzlichen Dingen trennen.
Charles kam mit einem Glas Champagner und einem herzlichen Lächeln auf mich zu. Edith
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