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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Übernachtung nötigende Anreise aus Schottland oder den Flug aus Paris oder New York rechtfertigen. Dennoch gelang es Charles, mich einen Augenblick beiseite zu nehmen. »Können wir uns zum Lunch verabreden, wenn Sie wieder zurück sind?«, fragte er. Ich nickte lächelnd, vermied aber jeden weiteren Wortwechsel, da der Beginn einer Ehe kaum der richtige Zeitpunkt ist, um über
das wahrscheinliche Ende einer anderen nachzugrübeln. Wie ich gestehen muss, fühlte ich mich geschmeichelt, dass Charles mich inzwischen ebenso sehr als seinen Freund betrachtete wie als Freund Ediths – geschmeichelt und bestätigt, da ich tatsächlich auf Charles’ Seite stand, wenn es denn schon Seiten geben musste. Natürlich war mir klar, dass ich nicht zu Charles’ dicken Kumpeln gehörte, doch ich konnte bei Gesprächen über seine Frau auf einen echten Erfahrungshintergrund zurückgreifen, ein Verdienst, das seinen anderen Freunden, die sie vor der Verlobung nie gesehen hatten, fehlte.
    Adela und ich verbrachten zwei herrliche Wochen in Venedig, und als wir nach Hause zurückkehrten, fanden wir mit weiteren Bergen von Hochzeitsgeschenken einen Brief von Charles, in dem er ein Treffen am folgenden Donnerstag in seinem Club vorschlug. Ich sagte zu. Charles war – wie konnte es anders sein – Mitglied im White’s, also fand ich mich am verabredeten Tag um ein Uhr vor dem bekannten neoklassizistischen Eingang ein.
    Von den drei exklusiven Clubs, deren reizvolle Fassaden aus dem achtzehnten Jahrhundert die St. James’s Street beherrschen, ist der White’s Club, wie mir wohl die meisten zustimmen werden, der exklusivste. Er kann sich rühmen, sogar unter den jüngeren Mitgliedern nur wenige windschnittige Karrieristen zu haben, vielleicht weil die crème de la crèm e immer noch genügend Substanz besitzt, um den Mitgliederbedarf zu decken, vielleicht aber auch, weil die Luft dort doch zu dünn ist für die Normalsterblichen, die sich nach ein, zwei Besuchen lieber nach etwas umsehen, wo der Reichtum nicht ganz so übermächtig ist. Ich allerdings war immer gern im White’s. Ich möchte hier genauso wenig Mitglied sein, wie ich ein Poloteam sponsern möchte, doch tritt hier eine der schönen Seiten der englischen Oberschicht zutage (wenn ich schon so aufmerksam ihre Laster registriere, ist es nur angebracht, auch Lob zu verteilen): In einer vertrauten, ihnen gemäßen Umgebung entpuppen sich ihre Angehörigen als höchst entspannter, amüsanter Haufen. Alle kennen einander seit dem ersten Atemzug, und wenn niemand in der Nähe ist, der ihnen dies vorwirft, schwelgen sie ausgelassen in einer sozusagen familiären
Vertrautheit. In ihrer Bestform, das heißt, wenn sie in einem »sicheren Haus« unter sich sind, zeigen sie sich höflich und unerschrocken – eine reizvolle Kombination.
    In der Eingangshalle nannte ich an der Empfangsloge aus Mahagoniholz meinen Namen und fragte nach Charles, doch »seine Lordschaft« war noch nicht eingetroffen und ich wurde gebeten, Platz zu nehmen und auf ihn zu warten. Hier wurden Fremde nicht einfach ins innere Heiligtum durchgenickt. Doch ich hatte kaum Zeit, die neuesten Nachrichten am Fernschreiber zu lesen (der inzwischen leider verschwunden ist), als Charles mir schon auf die Schulter klopfte. »Entschuldigen Sie, mein Lieber. Ich habe im Stau gesteckt.« Wir gingen durch die Treppenhalle zur kleinen Bar hinüber, wo Charles für uns beide trockenen Sherry bestellte. Er sah seinem alten Selbst wieder viel ähnlicher, wie ich erfreut feststellte, war schick gekleidet und gut frisiert, die krausen blonden Haare legten sich in glatte Wellen. »Wie geht es Ihnen denn? Viel zu tun, hoffe ich?«
    Nicht furchtbar viel, doch ein, zwei Rollen waren in Aussicht und ich hatte daher noch nicht das Stadium der blanken Verzweiflung erreicht, Berufsrisiko aller Mitglieder der Schauspielergewerkschaft. Ich brummte etwas über Adela, die Wohnung, Venedig und so weiter, doch natürlich brannte Charles darauf loszulegen. »Und wie sieht es bei Ihnen aus?«, fragte ich.
    Wie als Antwort stellte er sein Glas ab. »Gehen wir rauf und besorgen uns einen Tisch«, murmelte er, und wir stiegen die Treppe hoch.
    Der Speisesaal des Clubs ist ein großartiger Raum, der mit seiner hohen, vergoldeten Decke und den langen Fenstern, die auf den St. James’s Park hinausgehen, keine Erwartungen enttäuscht. An den damastverkleideten Wänden hängen lebensgroße Porträts bedeutender früherer Mitglieder, und insgesamt

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