So bitterkalt
Samt aus dem Rucksack holt, und fragt: »Wirst du hier schlafen?«
»Oh ja«, erwidert Marie-Louise schnell. »Natürlich darf man in der Nachtschicht schlafen, das ist kein Problem, solange man keine Ohrstöpsel benutzt. Man muss hören, wenn die Kinder einen brauchen.«
Jan schweigt und überlegt, was denn sein könnte, aber da erklärt sie es schon: »Manchmal wachen die Kinder auf und brauchen Trost, wenn sie etwas Böses geträumt haben. Aber das kommt nicht sonderlich oft vor.«
»Aha. Und wie lange schlafen sie so in der Regel?«
»Einige können richtige Schlafmützen sein, aber wenn ich Nachtdienst habe, stehe ich um halb sieben auf und wecke sie eine halbe Stunde später. Dann kriegen sie Frühstück, und damit ist der Nachtdienst beendet.«
Jan verlässt Marie-Louise und die schlafenden Kinder. Er geht auf die StraÃe und wirft einen Blick nach rechts. Sankt Patricia liegt wie ein groÃer, dunkler Flugzeughangar hinter der Mauer.
Plötzlich hält er inne. Vor ihm auf der StraÃe steht jemand und wartet. Es ist eine dunkle und hoch aufgeschossene Gestalt, ein Mann, der einen schwarzen Mantel trägt und ganz still unter einer der Eichen zwischen Graben und Bürgersteig steht. Das Licht der StraÃenlaternen erreicht ihn kaum, und Jan sieht nur undeutlich ein blasses Gesicht.
Sie starren einander an. Dann bewegt sich der Mann und hebt eine Art dünnes Seil, das er in der Hand hält.
Eine Hundeleine.
Kurz danach trippelt der Hund selbst hinter dem Stamm der Eiche hervor. Ein weiÃer Pudel. Der Mann beugt sich mit einer kleinen Plastiktüte hinunter und sammelt sorgfältig ein, was der Pudel hinterlassen hat. Dann setzen Herrchen und Hund ihren Spaziergang fort.
Jan atmet langsam aus.
Reià dich zusammen, denkt er und geht ebenfalls weiter. Es gibt hier keine Verrückten auf der StraÃe, sondern nur Hundebesitzer.
Um diese Zeit fahren keine Busse mehr ins Stadtzentrum, aber die Nachtluft ist frisch, und er läuft gern. Bis zu seinem Wohnviertel ist es nur eine Viertelstunde zu FuÃ.
Als er bei seinem Mietshaus ankommt, ist das Licht in den meisten Fenstern gelöscht.
Mein Zuhause , denkt er, aber natürlich fühlt es sich nicht wirklich so an. So etwas braucht seine Zeit.
Dann sieht er, dass zwei Wohnungen unter der seinen jemand auf dem Balkon steht und Pfeife raucht. Es ist der weiÃhaarige Mann aus der Waschküche. Er zieht an der Pfeife, bläst groÃe weiÃe Wolken in die Dunkelheit und scheint in Gedanken versunken. Jan bleibt stehen und hebt die Hand.
»ân Abend.«
Der Mann nickt und hustet eine Rauchwolke aus. »Gleichfalls«, sagt er nur.
Jan geht zum Eingang hinein, bleibt im zweiten Stock stehen und liest das Namensschild an der rechten Tür: V. LEGÃN.
Aha. Nun weià er zumindest, wie der Pfeifenraucher heiÃt und in welcher Wohnung er wohnt.
Jan geht weiter die Treppe zu seiner eigenen dunklen Wohnung hinauf. Dort bleibt er aber nicht, sondern stellt nur schnell den Rucksack mit den Bilderbüchern in der Diele ab, zieht sich das Jackett an und tritt wieder in die Nacht hinaus.
Er wird noch kurz zu Bills Bar hinuntergehen. Vielleicht wird er versuchen, dort Stammgast zu werden. Das ist etwas, was Jan noch niemals und nirgendwo war.
14
»Prost allerseits!«, ruft Lilian und erhebt das Glas.
»Prost«, antwortet Jan leise.
»Prost«, fügt Hanna noch leiser hinzu.
Lilian trinkt am meisten, sie leert das Glas zur Hälfte mit einem Zug.
»Gefällt dir Bills Bar?«, fragt sie.
»Doch.«
»Was gefällt dir hier?«
»Na ja ... die Musik.«
Um die Hausband bei der Bar, The Bohemos, übertönen zu können, reden sie fast so laut und betont, als würden sie mit den Kindern in der Vorschule sprechen. Die Bohemos sind vier noch halbwegs junge Männer in brüchigen Lederwesten, die auf einer kleinen, etwas erhöhten Bühne stehen. Der Leadsänger, das blonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, singt mit rauem Bariton Rocksongs. Auf der Bühne ist es eng, doch die Band schafft es trotzdem, ab und zu mit den Gitarren ein paar kurze Tanzschritte einzulegen, ohne sich gegenseitig vom Podium zu schubsen. Die Gäste unterhalten sich zwar ungeniert, sind aber dennoch so groÃzügig, die Bohemos nach jedem Lied mit einem kurzen Applaus zu bedenken.
Jan zieht Ramis geflüsterte Lieder von
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