So bitterkalt
verschlossene Türen. Und die Tür zum Keller ist ebenfalls abgeschlossen.
Jan denkt eine Weile an diese Tür. Und an den Kellergang und die Schleuse. Dann geht er in die Küche zurück und öffnet eine der Schubladen. Da liegen sie, die Magnetkarten. Er nimmt eine heraus.
Weià er den Code noch? Selbstverständlich, Marie-Louises Geburtstag. Seit er bei der Vorschule angefangen hat, hat er ein Dutzend Kinder zum Fahrstuhl gebracht und wieder abgeholt und den Code mindestens zwanzigmal eingegeben. Jetzt geht er zu der Tür bei den Garderoben und tippt ihn wieder ein. Dann steckt er die Magnetkarte in die Tasche. Das Schloss klickt.
Die Tür ist offen. Es funktioniert also auch nachts.
Die steile Treppe wirkt wie eine Grottenöffnung, die direkt in die Unterwelt führt. Dort unten ist es dunkel, aber nicht völlig schwarz. Von weiter hinten aus dem Gang dringt ein schwacher Lichtschein bis hierher.
Das Licht des Fahrstuhls, der zum Krankenhaus hinaufführt.
Jan zögert und sieht sich rasch um. Der Garderobenraum ist natürlich leer, schlieÃlich hat er die Eingangstür verschlossen, als Marie-Louise nach Hause ging.
Er beugt sich vor, streckt die Hand aus und betätigt den Lichtschalter. Unten im Kellergang blitzen die Leuchtstoffröhren auf und erhellen auch die steile Treppe und dahinter den Teppich, der wie ein Willkommensgruà bis zum Fahrstuhl verläuft. Die Fahrstuhltür selbst kann Jan vom Treppenabsatz aus nicht sehen, doch wenn er nur vier oder fünf Stufen hinuntersteigen würde, dann würde er bis zum Ende des Ganges schauen können.
Rami, bist du da?
Er geht zwei leise Schritte hinunter und bleibt, die Hand an das Geländer geklammert, stehen. Er lauscht. Kein Laut ist zu hören, weder vor noch hinter ihm.
Er macht noch einen Schritt und dann schnell drei weitere.
Jetzt sieht er die Fahrstuhltür. Das kleine Fenster ist erleuchtet, das heiÃt, der Fahrstuhl ist unten im Keller. Und wartet auf ihn.
Jan macht noch einen Schritt.
Doch den Beinen fällt es immer schwerer, sich zu bewegen, als hätte er eine mentale Sperre. Er denkt zu viel an die Kinder, an Leo, Matilda und Mira. Sie schlafen in der Vorschule, und er trägt die Verantwortung für sie, genau wie er neun Jahre zuvor die Verantwortung für William hatte.
Er kann das nicht tun. Mit einem letzten Blick auf die Schleuse zum Krankenhaus steigt er die Treppe wieder hinauf.
Oben angelangt, zieht er die Tür hinter sich zu und kontrolliert, dass sie verschlossen ist. Dann schaltet er bis auf ein Nachtlicht in der Diele alle Lichter aus und legt sich schlafen. In der Dunkelheit schlieÃt er die Augen und atmet auf.
Doch es fällt ihm schwer einzuschlafen. Es ist unmöglich. Jetzt, da alles dunkel ist, hat Jan den Eindruck, die Vorschule sei voller Geräusche. Knarzen, Schleichen, Flüstern ... Drüben im Krankenhaus liegt jemand und sehnt sich, jemand, der will, dass er kommt.
Alice Rami.
Jan schlieÃt die Augen, doch sie sieht ihn mit leuchtenden Augen an.
Komm her, Jan. Ich will dich anschauen.
Irgendwann schläft er doch, bis der Wecker neben ihm zu brummen anfängt. Die Leuchtziffern zeigen 06:15 Uhr. DrauÃen ist es immer noch dunkel, aber es ist Morgen. Um sich herum sieht er kahle Wände und begreift, dass er in dem kleinen Personalraum der Vorschule liegt.
Höchste Zeit, Leo, Matilda und Mira zu wecken.
Seine erste Nachtschicht in der »Lichtung« ist vorüber, doch es warten noch viele weitere auf ihn. Und als Jan aus dem Bett steigt, hat er plötzlich eine Idee, wie er nachts in den Keller gehen kann, ohne sich um die Kinder sorgen zu müssen.
Er wird ein Babyfon kaufen.
Luchs
Es war Mittwochnachmittag, Zeit für den geplanten Ausflug. Als Jan und Sigrid mit siebzehn Kindern von der Tagesstätte aufbrachen, war es fünf Minuten vor halb zwei. Das bedeutete noch mindestens vier Stunden Tageslicht, sie hatten also gut Zeit. Spätestens um vier Uhr sollte die Gruppe zurück sein.
Das Thermometer zeigte elf Grad plus an diesem Tag, der Himmel war bedeckt, aber es war windstill. Als sie sich am Gartentor versammelten, sah Jan, dass Sigrid neun Kinder vom »Braunbär« mitgebracht hatte. Der kleine William war auch in der Gruppe, er trug eine dunkelblaue Herbstjacke mit weiÃen Reflektorstreifen und eine leuchtend gelbe Wollmütze.
Jan selbst hatte acht Kinder vom »Luchs« dabei. Insgesamt
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