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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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vollkommen finster, doch das Lämpchen ist in den letzten Minuten schwächer geworden, und er hat keine Ersatzbatterien.
    Am Ende des Flures hebt er die Lampe vor sich und sieht vorsichtig in den Raum.
    Es ist ein großer Keller, der kein Ende zu haben scheint. Jan erkennt weiße Kacheln auf Fußboden und Wänden. Der Boden ist grau von Schmutz und Staub, und auf allen hellen Flächen sind Streifen von schwarzem Schimmel zu sehen.
    Ein Duschraum? Nein, er sieht zerborstene Bücherregale und leere Stahltische an der Wand. Etwas weiter entfernt hängen ein paar gelbe Plastikvorhänge, die halb um rostige Betten und niedrige Waschtische herum zugezogen sind.
    Ein Untersuchungsraum, der scheinbar seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr benutzt wird.
    Jan sieht sich um, mustert die gekachelten Wände und fühlt sein Herz schlagen.
    Er ist in Sankt Patricia eingedrungen.

2 – Rituale
    Madness is a sad, grim business. Loss of control is hardly ­romantic.
    Instead of bringing a release from reality, it becomes a more complex trap.
    Julian Palacios; Lost in the Woods.

Luchs
    Jan konnte im dunklen Wald kaum etwas sehen, war aber von allen Geräusche der Wildnis umgeben. Seine Stiefel knirschten rhythmisch über Steine und Schotter, der Nachtwind säuselte in den Ästen, unten am See rief eine Eule. Und die Trommeln schlugen, aber das taten sie nur in seinem Kopf.
    Es war fünf vor halb zehn, als er aus der schmalen Klamm herausstieg. Die Anhöhe, die sich zu seiner Linken erhob, war nur ein schwarzer, konturloser Schatten, doch Jan fand sich problemlos zurecht.
    Ein paar Minuten später hatte er das Kiesbett unterhalb des Bunkers erreicht. Er blieb stehen und sah hinauf. Es war nichts zu hören, kein Rufen, kein Weinen.
    Wie eine Katze kroch Jan leise und vorsichtig den Abhang hinauf zu der geschlossenen Stahltür. Als er oben war, schob er die Äste beiseite, legte das Ohr ans Metall und horchte erneut. Kein Laut drang heraus.
    Langsam schob er die Riegel auf, öffnete die Tür und streckte den Kopf in den Bunker. Immer noch kein Geräusch. Im Raum war es weder warm noch kalt. Jan hielt den Atem an. Nichts rührte sich, doch in der Stille zwischen den Betonwänden konnte er leise Atemzüge vernehmen. Er kroch in den Bunker. Langsam zog er sein Handy aus der Tasche und schaltete es ein. In dem Bunker breitete sich ein schwaches weißes Licht aus.
    Als er sich umsah, entdeckte er den Spielzeugroboter, der eingeschaltet in einer Ecke stand, seine kleinen Lämpchen blinkten. Daneben erkannte Jan ein paar ausgetrunkene Saftkartons, geöffnete Süßigkeitentüten und zusammengeknülltes Butterbrotpapier.
    Das war gut, William hatte also gegessen und getrunken. Und falls er hatte pinkeln müssen, gab es ja den Eimer, den Jan ganz hinten in den Raum gestellt hatte.
    Auf der Matratze lag ein kleiner Körper: William. Der Junge bewegte sich im Schlaf. Irgendwann musste er wohl müde geworden sein und hatte sich vor die Betonwand gelegt. Jetzt schlief er unter einer dicken Schicht Decken.
    Jan schlich in den Raum, nahm den Eimer und leerte ihn etwa zehn Meter vom Bunker entfernt in der Dunkelheit aus.
    Dann kroch er zurück und legte sich auf den Rücken, um auf Williams Atemzüge zu lauschen.
    In diesem Moment verspürte Jan eine großartige Ruhe, die seinen ganzen Körper erfasste. Er war siegesgewiss, fast glücklich darüber, dass an diesem Tag alles so gut gelaufen war. William war weggelockt und eingeschlossen worden, hatte aber nicht den geringsten Schaden genommen.
    Er würde das alles problemlos überstehen. Sechsundvierzig Stunden würden schnell vergehen.
    Am schlimmsten würde die Sache für Williams Eltern sein. Jan wusste, dass sie jetzt alle Qualen der Hölle durchleiden mussten: die Sorge, die zur Angst angewachsen und dann zum reinen Entsetzen geworden war. Sie würden in dieser Nacht nicht schlafen, keine Minute.
    Jan seufzte und schloss die Augen. Im Wald war alles in Ordnung.
    Er würde ein Weilchen hier liegen und auf William achtgeben, obwohl er ihm das in keiner Weise schuldig war. Als Jan eingesperrt gewesen war, hatte kein Erwachsener auf ihn achtgegeben.

33
    Jan geht mit kurzen Schritten durch den Klinikkeller, hält aber immer wieder inne, wie ein Forscher in einer unbekannten Höhlenwelt. Mit einer kleinen Lampe als einziger Unterstützung tastet er sich langsam durch verwinkelte Gänge

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