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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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aufschnappen könnte.
    Personal oder Patienten?
    Jan will nicht wissen, wer so spät am Abend singt. Vorsichtig bewegt er sich vorwärts, an der Wand entlang und immer fluchtbereit.
    Endlich findet er die richtige Tür. Er kommt wieder in den Flur mit den kleinen Zellen, und von dort geht er durch den ersten Krankensaal zum Schutzraum. Um wieder dort hineinzugelangen, muss er nun nicht unter dem Fußboden hindurchkriechen – von dieser Seite her lässt sich die Stahltür problemlos öffnen. Er findet ein Stückchen Holz, das er so ins Schloss klemmt, dass die Tür nur angelehnt ist und er von nun an auch von der Vorschule aus hinüberkann. Dann geht er durch den Schutzraum zurück in die »Lichtung«.
    Hier gibt es wieder Wärme und Helligkeit, und Jan schaltet den Schutzengel aus.
    Es ist schon fast Mitternacht, als er in die Vorschule zurückkehrt, aber Hanna ist noch wach. Sie sieht ihn mit durchdringendem Blick an und wirkt aufgeregt. Für einen Moment vergisst er Rami.
    Â»Ich habe dich gehört«, sagt sie und hält den Schutz­engel hoch. »Klar und deutlich.«
    Â»Gut«, erwidert Jan.
    Â»Hast du da unten was gesehen?«
    Â»Nicht sonderlich viel.« Jan atmet auf und wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Der Keller ist wie ein Labyrinth mit Gängen und alten Krankensälen, und ich glaube, ich habe Stimmen gehört ...«
    Â»Hast du einen Weg zu den Abteilungen entdeckt? Oder einen Fahrstuhl?«
    Jan schüttelt den Kopf. »Ich bin nur in der Wäscherei gelandet. Da waren Leute.«
    Â»Leute? Frauen und Männer?«
    Â»Ein Mann. Wahrscheinlich jemand vom Personal. Aber er hat mich nicht gesehen.«
    Hanna nickt, scheint aber daran nicht interessiert.
    Â»Dann war das also ein sinnloser Besuch«, meint sie.
    Â»Nein«, entgegnet Jan. »Ich habe gelernt, mich da unten zurechtzufinden.«

Die Klapse
    Jedes Mal, wenn er sich in seinem Krankenzimmer an den Schreibtisch setzte, konnte Jan den Zaun mit dem Stacheldraht sehen. Das war nicht zu vermeiden, der Zaun war fast doppelt so hoch, wie er selbst groß war. Erst kam ein Rasen, dann der Zaun und dahinter ein Weg, der in Richtung Stadt verschwand.
    Der Zaun hielt ihn in der Klapse fest, das begriff er, aber er schützte ihn auch vor dem Rest der Welt.
    Was hatte er getan, dass er hier gelandet war?
    Er betrachtete die Bandagen an den Handgelenken. Er wusste, was er getan hatte.
    Jörgen hatte ihm Papier und Filzstifte gebracht, damit er ein wenig zeichnen konnte. Jetzt malte er ein Rechteck auf das Papier und begann mit einer neuen Comicserie. Der Scheue, sein eigener Superheld, kämpfte auf dem Grund einer finsteren Schlucht mit Der Viererbande. Der Scheue war unverwundbar, nur starkes Licht vertrug er nicht, und deshalb versuchte die Bande, Laserstrahlen auf ihn zu richten.
    Plötzlich klopfte es an der Tür, und noch ehe Jan antworten konnte, wurde sie geöffnet.
    Ein Mann in grauem Wollpullover sah herein. Es war nicht Jörgen. Dieser Mann trug einen Bart, hatte aber eine Glatze.
    Â»Hallo, Jan«, sagte er. »Gut, dass du auf bist.«
    Jan erwiderte nichts.
    Â»Ich heiße Tony. Ich bin Psychologe hier. Wir wollen nur deine Werte kontrollieren.«
    Ein Psychologe. Jetzt würden sie anfangen, in seinem Inneren herumzugraben.
    Tony trat zur Seite und ließ einen Krankenpfleger herein, der mit Stethoskop und groben Händen auf Jan zukam. Er quetschte und horchte, zog Jans Verband zur Seite und besah sich die zusammengenähten Wunden entlang der Handgelenke.
    Â»Er scheint gesund zu sein«, erklärte der Pfleger über die Schulter. »Beinahe wiederhergestellt.«
    Â»Körperlich zumindest«, ergänzte Tony.
    Â»Genau. Um seine Seele kümmern Sie sich.«
    Keiner der beiden redete direkt mit Jan, und der Pfleger bemerkte auch seine Brandmale nicht. Als er fertig war, wandten sie sich ohne ein Wort zur Tür.
    Â»Kann ich bald nach Hause?«, fragte Jan hinter ihnen her.
    Keine Antwort. Tony hatte die Tür bereits geschlossen.
    Nach nur fünf Zeichnungen hörte Jan auf. Er legte sich wieder aufs Bett und starrte an die Decke. Er würde in der Klapse bleiben, bis jemand ihn rauslassen wollte. Andere bestimmten über ihn, das war er gewohnt.
    Er blieb liegen, wollte nicht vor die Tür gehen.
    Durch die Wand drang Gitarrenmusik. Das Mädchen im Zimmer neben ihm spielte unentwegt ihre Akkorde,

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