So bitterkalt
die Tasse und macht kehrt. Er lädt nicht in den finsteren Flur ein, aber Jan geht trotzdem hinein.
Den Stoffbeutel von Sankt Patricia, der voriges Mal auf dem FuÃboden lag, kann er diesmal nirgends entdecken, deshalb geht Jan weiter und schaut in die Küche. Dort stehen überall Teller gestapelt, auf dem FuÃboden sind Flaschen und Kanister zu kleinen Inseln zusammengestellt, und die Fenster sind von einem grauen Film aus Staub und Bratfett überzogen.
»Ich arbeite übrigens im Sankt Patricia«, sagt er zu Legéns Rücken.
Der Nachbar schüttet schweigend Zucker in die Tasse.
»Sie haben doch auch dort gearbeitet, oder?«, fragt Jan.
Auch diesmal gibt es keine Antwort, doch er meint ein kurzes Nicken wahrzunehmen. Also fährt er fort: »Waren Sie nicht in der Wäscherei?«
Jetzt nickt Legén.
»Doch.«
»Und wie lange?«
»Achtundzwanzig Jahre und sieben Monate.«
»Alle Achtung. Aber jetzt sind Sie in Rente, oder?«
»Ja«, erwidert Legén. »Jetzt mache ich nur noch Wein.«
Jan sieht sich um. Natürlich, es stehen ja überall die Flaschen und Kanister herum, und der Geruch von fruchtigem Alkohol kommt aus den Verpackungen und nicht von Legén.
»Aber«, sagt Jan bedächtig, »vielleicht erinnern Sie sich noch, wie es da oben aussieht, also, in der Klinik.«
»Schon. Ein wenig.«
»Gibt es irgendwelche Geheimgänge?«, fragt Jan und lächelt, damit seine Frage wie ein Scherz wirkt. Was sie nicht ist.
Legén stellt den Zucker beiseite und wendet sich Jan zu, der unbeirrt weiterredet.
»Da können Sie doch sicher einige Geschichten erzählen?«
»Warum sollte ich?«, fragt Legén und nimmt die Tasse mit dem Zucker.
»Nun, ich arbeite schlieÃlich da. Ich bin einfach neugierig auf meinen Arbeitsplatz. In den Pflegeabteilungen bin ich noch nie gewesen.«
»Ach so?«, brummt Legén. »Und wo arbeiten Sie dann?«
Jan fällt keine gute Lüge ein, deshalb antwortet er: »In der Vorschule.«
»Vorschule? Die haben keine Vorschule.«
»Doch, inzwischen haben sie eine«, erklärt Jan. »Für die Kinder, deren Eltern in der Klinik sind.«
Legén schüttelt nur erstaunt den Kopf, er denkt ein wenig nach, dann reicht er Jan die Zuckertasse.
»Na gut. Hundert.«
»Hundert was?«
»Hundert Kronen, dann erzähle ich was. Sie kriegen auch eine Flasche Wein.«
Jan denkt nach und nickt.
»Wenn Sie was erzählen«, sagt er, »dann hole ich nachher das Geld.«
Legén setzt sich gemächlich an den Küchentisch. Dann schweigt er eine Weile.
»Es gibt keine Geheimgänge«, beginnt er schlieÃlich. »Ich habe jedenfalls nie einen gesehen. Aber es gibt etwas anderes.«
Er wühlt zwischen den Zeitungen und Quittungen, die den Tisch bedecken, und findet einen Bleistift und ein halbiertes Blatt Papier. Dann fängt er an, Quadrate und kleine Rechtecke aufzuzeichnen.
»Was ist das?«, fragt Jan.
»Die Wäscherei.« Legén malt einen Pfeil. »Man geht zum Trockner, zum Trocknerraum. Eine groÃe, breite Tür. Aber da geht man nicht rein, sondern man nimmt die Tür rechts. Da kommt man in eine Abstellkammer«, er malt einen dicken Kreis um eines der Quadrate, »und dort, hinter all dem Kram, gibt es einen Weg nach oben.«
»Eine Treppe?«
»Nee«, sagt Legén, »da ist ein alter Fahrstuhl. Der führt direkt rauf in die Abteilungen. Und zwar in alle. Es gibt nicht viele Leute, die das wissen.«
Jan betrachtet die gekritzelte Skizze.
»In der Wäscherei sind aber sicher Leute und jede Menge Wachpersonal?«
»Sonntags nicht«, erwidert Legén. »An den Feiertagen ist die Wäscherei leer, still und friedlich. Da kann man rauf- und runterfahren, wie man will.«
Zum ersten Mal sieht er Jan an, und Jan erwidert den Blick und hat plötzlich das Gefühl, Legén würde von sich selbst sprechen. Mit einem Mal gibt es eine Verständigung zwischen ihnen. Achtundzwanzig Jahre in Sankt Psycho, denkt Jan. Nach der langen Zeit kennt man jeden Quadratmeter des Hauses, jede Tür und jeden Flur.
Und man muss viele Patienten, die dort wohnen, getroffen haben. Muss sie gesehen und über sie nachgedacht haben.
»Sind Sie auch mal mit dem Fahrstuhl gefahren?«, fragt Jan.
»Schon«, gibt Legén zu, »hin und wieder.«
»Sonntags?«
»Hin
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