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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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herumschwappte. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen, so dass sich über seiner Nase zwei steile Falten bildeten. Er brauchte verdammt lange für seine Antwort. Auch seine Körperhaltung veränderte sich und drückte nun sicheres Selbstbewusstsein aus. Hatte er nicht gerade noch behauptet, schüchtern und unbeholfen zu sein? Offenbar war das eine Lüge gewesen. Merle wartete ab.
    Endlich sah er sie an. Der Widerschein des Feuers ließ zwei kleine goldene Punkte in seinen dunklen Augen aufleuchten. Torffeuer.
    »Hast du das schon einmal erlebt?«, flüsterte Jakob plötzlich.
    Merle starrte ihn an. Mit einem Mal wollte sie nicht, dass er noch mehr sagte. Sie wollte ihn nur noch berühren. Dann fragte sie sich, warum sie dem Drang überhaupt widerstand. Sie hob den Zeigefinger und fuhr mit der Fingerspitze sachte dem Schwung seiner Oberlippen nach. Sie ließ ihren Finger in der kleinen Vertiefung in der Mitte ruhen und spürte den Kontrast zwischen weichen, warmen Lippen und kurzen Bartstoppeln.
    Jakob umschloss ihren Finger mit der Hand und hielt ihn sanft fest. »Hast du schon mal erlebt, dass du jemandem begegnest und du glaubst von der ersten Sekunde an, dass du mit diesem Menschen den Rest deines Lebens verbringen möchtest? Bis ans Ende aller Tage?«
    Seine Stimme war immer noch leise, aber umso eindringlicher. »Dass Worte auf einmal eine ganz andere Bedeutung bekommen?«
    Merle hing wie verzaubert an seinen Lippen. Sie traute ihren Ohren kaum, wagte es nicht einmal zu blinzeln aus Angst, diesen magischen Augenblick zu zerstören. Sie war es gewohnt, rational zu denken, Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus zu treffen. Jetzt hingegen wollte sie sich Jakob am liebsten mit aller Liebe entgegenwerfen, zu der sie fähig war. Gleichzeitig drückte Angst ihr die Kehle zu, so wie in ihren Alpträumen. Sie kannte diesen Mann nicht, wusste nichts über ihn, seine Vergangenheit, seine Absichten, seine Abgründe. Der Gedanke, sich ihm auszuliefern, verursachte ihr körperliche Schmerzen. Und doch hätte sie zugleich nichts lieber als das getan. Was war nur los mit ihr?
    Jakob senkte den Kopf. Die Schatten auf seinen Wangen wurden tiefer. Die Torffeuer flackerten. »Ich habe mich nicht in dich verliebt, Merle. Ich liebe dich. Wenn ich darf.«
    »Wer kann dir so etwas verbieten?«, raunte Merle heiser. Seine Worte überforderten sie, aber die Antwort, die ihr durch den Kopf schoss und die sie nur mit Mühe zurückhielt, war: Ich dich auch.
    »Nur du könntest es verbieten.«
    »Das werde ich nicht tun.« Sie lächelte. So also fühlte sich Glück an. Ungetrübtes, reines Glück. Alles an seinem Platz, kein dunkler Fleck, nirgends. Konnten Märchen wahr werden? Vielleicht.
    Minuten später zerriss die Romantik, die sich wie ein Schleier über ihre Empfindungen gelegt hatte. Jakob hielt sich zurück, aber als Merle ihm das unsichtbare Signal gab, fiel er wie ein Raubtier über sie her. Sie verschwendete kein Bedauern an die zerstörte Stimmung. Sie wollten es beide so, schnell, heftig und ohne Schnörkel. Das Einzige, was in dieser Hinsicht zählte, war doch, dass sie sich vollkommen einig waren, dachte sie später, als sie in der Küche darauf warteten, dass der Vollautomat ihnen einen Espresso zubereitete.
    »Bist du sicher, dass du um die Zeit noch Kaffee trinken möchtest?«, wollte Jakob wissen. Er hatte das Hemd gegen ein weites T-Shirt getauscht und sonst nur schwarze Pants an. Merle fiel es schwer, sich von diesem Anblick loszureißen. Ihr fiel ihr Telefongespräch ein, und sie kicherte albern.
    Der Vollautomat beendete rumpelnd die Zubereitung. Jakob zog die volle Espressotasse zu sich heran, setzte sich Merle gegenüber an den Tisch und sah sie missbilligend an. Es hatte etwas Oberlehrerhaftes. Ein Oberlehrer in Unterhosen. Sie kicherte wieder.
    »Ich meine das ernst. Du hast letztes Wochenende keine einzige Nacht durchgeschlafen.«
    Merle nickte schuldbewusst. Ihr wurde klar, dass das auch auf ihn zutraf. Sie hatte ihn jede Nacht geweckt, obwohl das natürlich nie ihre Absicht gewesen war.
    »Ich denke, das ist vorbei. Es war eine Scheißzeit, und der Tod meiner Großmutter hat nicht gerade zu meiner Entspannung beigetragen. Jetzt habe ich erst mal Urlaub. Dann werde ich überlegen, wie es beruflich weitergeht. Ich kann mich wieder auf mein normales Leben konzentrieren. Und auf dich.«
    »Heißt das, dass du in der letzten Woche keine Alpträume hattest? Seit Sonntag?«
    Da sie ihn nicht anlügen wollte,

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