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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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wich sie seinem Blick aus und schwieg.
    Jakob nickte, bevor er seinen Espresso austrank.
    »Warum interessiert dich das?«, fragte Merle.
    »Du interessierst mich. Ich wünsche mir einfach für dich, dass es so ist, wie du sagst, und keine andere Ursache hat.«
    »Was denn für eine andere Ursache?«
    »Na ja, es gibt Schlafkrankheiten und spezielle Labore, die so etwas untersuchen. Das solltest du im Hinterkopf behalten.«
    »Es ist vorbei! Ich werde wieder gut schlafen.« Merles Stimme klang schärfer, als sie beabsichtigt hatte.
    Jakob hob beschwichtigend die Hand, widersprach ihr jedoch nicht.
    Sie gähnte verstohlen. »Alptraum oder nicht, ich gehe ins Bett. Du kannst dich gern noch ins Wohnzimmer setzen oder tun, was immer du möchtest, aber ich schlafe im Stehen ein.«
    Jakob legte den Kopf schief und grinste anzüglich. »Ich möchte mich lieber darum kümmern, dir schöne Träume zu bereiten.«
    *
    Er hatte recht gehabt. Wie hatte er das wissen können? Merle befand sich wieder in ihrer dreimal verfluchten Traumwelt. Sie war angespannt und wütend. Die Wut war gut, sie besiegte die Angst.
    Es war ein Nichts aus Nebel, doch wie die letzten Male sah sie die dunkleren Schemen der Bäume, die ihre knorrigen Äste durch die graue Feuchtigkeit nach ihr ausstreckten. Sie vereinbarte mit sich selbst, dass die Bäume ihr keine Angst einjagen würden, solange sie sich nicht bewegten. Ihr Verstand war ihre Waffe. Sie durfte nur keine Emotionen zulassen. Keine, bis auf die Wut.
    Dann sah sie den Wolf.
    Er lag auf einem Felsvorsprung. Der Untergrund war nur zu erahnen. Ein moosgrünes Leuchten inmitten der konturlosen Eintönigkeit. Der Wolf lag dort mit nach vorne gestreckten Pfoten, wie ein steinernes Wappentier. Die Ohren waren aufmerksam aufgerichtet, und um seine Schnauze herum schimmerte Blut. Mit starrem Blick fixierte er sie. Auch als Merle sich langsam aus seinem Blickfeld zu bewegen versuchte, starrte er sie mit seinen Bernsteinaugen weiter unverwandt an.
    Sie ging in eine andere Richtung, dann lief sie, dann rannte sie. Dann blieb sie stehen. Der Abstand zu dem Felsen, auf dem der Wolf lag, blieb immer gleich.
    Er jagte ihr keine Angst ein. Das war gut.
    Ein Heulen drang durch den Nebel, schwoll hoch und schrill an und verlor sich in der Ferne. Der Wolf hatte keinen Muskel gerührt. Er starrte.
    Merle fröstelte. Sie war wieder nackt. Verwundbar. Ihre heiße Wut schmolz in der feuchten Kälte zu einem harmlosen Glimmen.
    Geh nicht in den Wald!
    Da war keine Stimme gewesen, doch Merle hatte die Worte ganz genau vernommen. Sie drehte sich einmal um sich selbst. Der Wolf war fort. Niemand war da, nur die Schatten der Bäume waren näher gerückt.
    Es waren nicht einfach Bäume, sondern uralte Riesen aus einer anderen Zeit. Mit tröstlich tiefhängenden Ästen und moosbewachsenen Stämmen, die von weichem Farn umgeben waren. Zwischen den Zweigen tanzten kleine Lichter. Sie erinnerten sie an Jakob und die Torffeuer.
    Geh nicht in den Wald!
    Merle stand am Waldrand. Nur noch eine Handbreit trennte sie von den längsten Ästen, die sich ihr wie hilfsbereite Hände entgegenreckten.
    Die Stimme schwoll an, wie zuvor das Heulen, wurde zu einem dissonanten Chor und dröhnte von allen Seiten. Merle presste die Hände auf die Ohren.
    Geh nicht … in den Wald … in den Wald … Geh … Wald … nicht in den Wald! Geh!
    »Hört auf!« Merle ließ sich auf den Boden fallen, der nicht vorhanden war. Sie warf sich auf die Seite und krümmte sich zusammen. Vergeblich versuchte sie Halt zu finden, zog die Knie an den Bauch und ballte die Hände zu Fäusten. Sie war in einer Welt aus Tönen, so schrill, dass es ihr Tränen in die Augen trieb, und so dumpf, dass ihre Eingeweide erzitterten. Sie verstand kein einziges Wort mehr.
    »Hört auf damit!«
    »Keine Angst.«
    Ihre Muskeln brannten, so sehr verkrampfte sie sich. Sie wollte schreien, aber alles, was sie herausbekam, war ein trockenes Wimmern.
    »Alles ist gut.«
    Ein Arm schlängelte sich über ihre Brust, und sie glaubte zu ersticken. Sie wollte um sich schlagen. Ein weiterer Arm schob sich unter ihren Nacken.
    »Ich bin bei dir.«
    Sie keuchte und versuchte vergeblich, sich zu befreien. Erst dann wurde ihr bewusst, dass sie sich wie eine Ertrinkende an dem Arm über ihrer Brust festkrallte und sich damit selbst die Luft abschnürte. Sie ließ los. Der Arm blieb, versprach Sicherheit, bedrängte sie nicht. Sie öffnete die Fäuste, nahm die Hand in ihre beiden und

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