So finster, so kalt
nicht sofort aufgefallen war. Doch viele der Gesichter, die sie von der Beerdigung wiedererkannte, trugen nun unfreundliche Mienen.
Sie ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und vergrub das Gesicht in den Händen. Da legte sich ein Arm um sie.
»Danke, Björn. So schnell werden Freunde zu Feinden.«
Er setzte sich neben sie.
»Nimm es nicht persönlich. Sie mischt schon den ganzen Morgen alle hier auf. Die Stimmung ist explosiv.«
»Wo ist deine Frau? Solltest du nicht bei ihr sein?«
»Ich habe sie gezwungen, nach Hinterzarten zu fahren und sich dort ein Zimmer zu nehmen. Unsere zweite Tochter geht dort auf ein Internat. Wir waren uns beide einig, dass wir Annika nicht hierher in diesen Tumult holen wollten. Ich glaube, für Sarah ist es besser so. Sie hat sich erst geweigert. Aber dann hat sie eingesehen, dass auch Annika jemanden braucht, der für sie da ist.«
Merle wunderte sich kurz darüber, dass Björn seine Tochter auf ein Internat schickte, da fuhr er schon fort: »Annika spielt sehr gut Klavier. Sie hat an einem Wettbewerb teilgenommen und ein Stipendium gewonnen. Wir konnten es ihr unmöglich abschlagen. Auch wenn es mir schwergefallen ist, mein großes Mädchen fortzulassen.« Ihm versagte die Stimme.
Merle hätte ihn gerne umarmt, war jedoch unsicher, ob das nicht noch mehr Gerede nach sich ziehen würde. So ergriff sie einfach seine Hand und drückte sie. Dabei sah sie in seine rotgeränderten Augen und schwieg hilflos.
Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie so dasaßen. Der überhitzte Raum und die gleichmäßige Geräuschkulisse lullten sie ein. Beinahe wäre Merle weggedöst.
Auf einmal wurde das Stimmengemurmel lauter. Sie wandte sich dem Eingang zu und sah vier Hundeführer mit ihren Hunden hineinkommen. Die Tiere wurden in einer Ecke, die Merle zuvor gar nicht aufgefallen war, in speziellen Boxen untergebracht. Doch es war den Männern und Frauen an den Gesichtern abzulesen, dass sie keine guten Neuigkeiten brachten. Im Gegenteil.
»Es ist ein weiteres Kind verschwunden. Wie suchen nun auch nach der vierjährigen Marie Lehmann.«
Dreizehn
Klostermauern
G uten Morgen, Doktor Wolff.« Sehr zu Jakobs Überraschung trug der Mann ihm gegenüber einen dunklen Anzug statt eines Habits.
»Bruder Pirmin? Vielen Dank, dass Sie sich so kurzfristig Zeit für mich nehmen konnten.«
Sie gaben einander die Hand, und der Mönch bedeutete ihm mit einer kurzen Geste, ihm zu folgen.
Jakob war froh, dass der Mann fließend Deutsch sprach. Das war im Elsass häufig, aber nicht selbstverständlich. Mit seinem mittelmäßigen Französisch allein hätte sich die Verständigung erheblich mühseliger gestaltet.
»Ich nehme an, Ihr Blick galt meiner Kleidung?«, wandte sich Bruder Pirmin an Jakob, während er ihn in ein kleines Büro führte und aufforderte, an einem Tisch mit zwei Stühlen Platz zu nehmen. Er setzte sich ihm gegenüber und goss ihnen beiden Wasser ein.
»Der Habit ist heutzutage nicht mehr grundsätzlich üblich«, erklärte er dann. »Und ich finde einen Anzug offen gestanden bequemer. Nun, was genau führt Sie hierher?«
Jakob zog die Kopie des Klosterberichtes aus einer Ledermappe und erklärte kurz, worum es sich handelte. »Die Nachfahrin des benannten Hans vom Wald aus einem Dorf bei Lörrach hat mich gebeten, Nachforschungen anzustellen. Da er die letzten beiden Jahre vor seinem Tod hier gelebt hat, dachte ich, Sie hätten vielleicht weitere Unterlagen über ihn oder sein Tun.«
Mit einem überraschten Stirnrunzeln zog Bruder Pirmin die Papiere an sich und überflog die lateinischen Worte. Dann warf er einen kurzen Blick auf den Beginn der Übersetzung, bevor er entschieden den Kopf schüttelte. »Das Dokument ist ganz sicher nicht hier entstanden.«
»Was? Woran erkennen Sie das mit einem Blick?«
Der Mönch sah ihn fest an. »Da stimmt einfach nichts. Das Latein ist grauenhaft falsch. Gut, das allein heißt nichts, das kam früher sehr häufig vor. Aber die Struktur, der Verweis auf den Exorzismus? Sehr seltsam in meinen Augen. Haben Sie schon einmal davon gehört, dass ein ›Geständnis eines Dämons‹ niedergeschrieben wurde? Nehmen wir an, dieser Hans vom Wald war hier und wurde exorziert – das allein empfinde ich im Übrigen schon als zweifelhaft –, dann ist das, was er gesagt hat, eher im Sinne einer Beichte zu verstehen, oder? Die wurde ganz sicher nicht aufgeschrieben. Ausgeschlossen.«
»In dem Dokument ist sowohl davon die Rede, dass Hans einem
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