Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So frei wie der Himmel

So frei wie der Himmel

Titel: So frei wie der Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Laell Miller
Vom Netzwerk:
sie davon ab, noch einmal ins Fettnäpfchen zu treten.
    "Für ihn ist das in Ordnung", antwortete Sierra. "Solange die Jungs alle Reid heißen."
    "Ich schätze, das ist nur fair", räumte Janice ein.
    Nach dem Essen machten sie sich auf den Weg ins Hinterzimmer. Cheyenne trat zuletzt ein und blieb auf der Türschwelle wie angewurzelt stehen. Da saß Jesse, vertieft in jenes Höllenspiel, das Delores erwähnt hatte, unrasiert, die Baseballkappe tief in die Stirn gezogen und mit genügend Chips vor sich, um damit einen ganzen Eimer zu füllen.
    Als würde er ihre Anwesenheit spüren, sah er auf. Sein Blick blieb an ihr hängen. Etwas in ihr fing Feuer, und sie kam sich wie eine Vollidiotin vor, weil sie sich nicht rühren konnte. Indian Rock war schließlich Jesses Heimatstadt und das Lucky’s seine Stammkneipe. Warum erstaunte es sie so, ihn hier zu sehen?
    Delores Worte hallten in ihrem Kopf. Das Spiel läuft jetzt seit Mitternacht.
    Sierra, die den Raum schon halb durchquert hatte, kam zurück und flüsterte in Cheyennes Ohr: "Er beißt nicht."
    Alles an Jesse wirkte so, als ob er das allerdings täte an Stellen, die eine Frau aufstöhnen ließen. Mit letztem Willen riss Cheyenne sich zusammen, lächelte ein wenig hölzern und befahl sich, vernünftig zu sein. Nicht die Tatsache, Jesse zu sehen, hat mich so verwirrt, dachte sie, als sie sich zu den anderen an den Pokertisch setzte. Ihn hier zu sehen, wo ich früher immer nach meinem Dad gesucht habe, der mit zerknitterten Klamotten und Dreitagebart an genau diesem Tisch saß, das ist es, was mich so gelähmt hat.
    "Alles in Ordnung?", fragte Sierra leise.
    "Mir geht es gut." Cheyenne saß mit dem Rücken zu Jesse, aber sie spürte es, wenn er sie betrachtete. Es fühlte sich wie ein Streicheln in ihrem Nacken an. Wie ein Kuss.
    "Braucht ihr Mädchen einen Kartengeber?", fragte Nurleen Gentry. Natürlich war sie älter geworden, seitdem Cheyenne sie zuletzt gesehen hatte. Aber sie roch noch immer nach kaltem Zigarettenrauch, billigem Parfüm und modrigen, halbvergessenen Träumen.
    "Wir sollten unter so echten Bedingungen wie möglich spielen", sagte Elaine.
    Nurleen zog sich einen Stuhl zurück und griff mit der anderen Hand nach dem neuen Kartenspiel in der Mitte des Tisches.
    "Wie geht es dir, Kindchen?", fragte sie. "Ist lange her."
    Cheyennes Hals schmerzte. Sie schluckte, lächelte und erwiderte Nurleens wissenden Blick. "Mir geht es gut. Und Ihnen?"
    "Muss ja", sagte Nurleen, riss das Kartenspiel auf, sortierte die Joker aus und begann zu mischen. "Dein Daddy war ein guter Mann. Wir vermissen ihn."
    Sierra, Elaine und Janice taten so, als hörten sie nicht hin. Umständlich durchwühlten sie ihre Handtaschen, stellten Handys aus, zupften sich das Haar zurecht. Und verpassten auch nicht ein einziges Wort. Mit einem Mal war Cheyenne wieder zwölf und wusste nicht, ob sie sprechen konnte, ohne in Tränen auszubrechen.
    "Die Mindesteinsätze bitte", rief Elaine fröhlich.
    "Du klingst, als ob du wüsstest, wovon du sprichst", wunderte Janice sich.
    "Ich hab euch doch gesagt, dass ich auf dem Computer ständig Hold'em spiele."
    "Dann solltest du wissen, dass es hier keine Mindesteinsätze gibt, sondern Blinds" sagte Nurleen.
    Cheyenne erinnerte sich, dass es sich bei Blinds um allmählich steigende Geldbeträge handelte, die die Spieler der Reihe nach zahlen mussten, wenn die Karten neu verteilt waren. Im Spielverlauf stiegen die Beträge immer steiler an. Sie war froh, dass sie jetzt über etwas anderes nachdenken konnte als über Jesse und ihren Dad.
    Nurleen zog ein Tablett mit bunten Chips unter dem Tisch hervor und verteilte sie.
    "Über die Blinds machen wir uns später Gedanken", sagte Sierra. Wenn wir herausgefunden haben, was das überhaupt sein soll."
    Vom Nebentisch erscholl Männergelächter.
    "Ich werde euch alles beibringen, was ihr wissen müsst", sagte Nurleen. Dann drehte sie sich um. "Und ihr seid gefälligst still. Wir versuchen, hier Poker zu spielen."
    Noch mehr Gelächter.
    Seufzend betrachtete Nurleen ihre Schülerinnen. Sie teilte jeder Spielerin zwei Karten verdeckt aus. Sierra, Elaine und Janice sahen nach, Cheyenne berührte ihre Karten nicht einmal. Elaine hob fragend eine Augenbraue.
    "Ich warte auf den Flop ", erklärte Cheyenne.
    Das brachte ihr ein erfreutes Lächeln von Nurleen ein. Dann legte die ältere Frau eine Karte zur Seite und platzierte drei weitere Karten mit dem Bild nach oben in der Mitte des Tisches.
    Kreuzkönig.

Weitere Kostenlose Bücher