So fühlt sich Leben an (German Edition)
stellt sich die große Frage: Was machst du jetzt? Wo nimmst du jetzt das Geld her? Dazu kommt: Wenn du Leine ziehst, fehlt einer an der Tür, und du kannst deine Jungs doch nicht im Stich lassen. Willst du » nur« deshalb aufhören? Bist du sicher? Hast doch Glück gehabt. Ist doch noch mal gut gegangen… Gottlob saß mir der Schreck so tief in den Knochen, dass ich bei meinem Entschluss blieb.
Und außerdem– ich konnte ja noch was anderes. Ich war nicht Steffen. Steffen hatte ein Soldaten-Gen, für den kamen nur Tür und artverwandte Tätigkeitsfelder in Betracht. Für mich war es eine Horrorvorstellung, den Absprung zu verpassen und an der Tür zu vergreisen und mit fünfundvierzig Jahren von jungen Leuten gesagt zu bekommen: Alter Mann, wenn du nicht gleich die Fresse hältst, liegst du in der Ecke und stinkst. Und überhaupt: Wofür hatte ich jetzt eine Frau, bei der ich schwach sein durfte? Mit der ich darüber reden konnte, wie müde es macht, ununterbrochen als Sinnbild für Kraft und Durchsetzungsvermögen durch die Gegend zu laufen? Und wo nun schon alles zusammenkam und auf der einen Seite die Trümmer rauchten und auf der anderen Seite stille, friedvolle Landschaften lockten, habe ich Nägel mit Köpfen gemacht. So wurde aus dem Türsteher Hagen Stoll die Putzkraft Hagen Stoll.
Hat mir, ehrlich gesagt, nicht viel ausgemacht. Ich war reif für die nächste Karriere. Weggeputzt wird hier wie dort, habe ich mir gedacht, und so sehr mich das Milieu faszinierte, so wenig widersprach es meiner Natur, Putzmittel zu versprühen und Spuren zu beseitigen. In den Augen der anderen war mein fliegender Wechsel natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Als wäre ich zu den Zeugen Jehovas übergetreten. Du kannst dir als Türsteher doch nicht die Blöße geben zu sagen: » Übrigens, ab morgen gehe ich putzen.« Was die Sache für mich vereinfachte: Solange ich denken kann, hatte ich einen kleinen Putzfimmel. Wie oft bin ich an den langen Sonntagen auf dem Murtzaner Ring mit meinem Rädchen angekommen, wenn mein Kuje an seinem Lada schraubte, habe ihn um einen Lappen gebeten und mein Fahrrad auf Hochglanz gebracht. Wollte er mich in seine Schrauberei involvieren, habe ich mich grundsätzlich mit Absicht doof gestellt– » In welche Richtung muss ich festdrehen, Papa?«–, aber Putzen und Polieren war vollkommen okay. Das liegt in der Familie. Von zu Hause kenne ich es nur sauber. Meine Mutter ist der Extremfall einer Putzerin, und bei meinem Vater musste immer alles gepflegt werden, damit es lange hält.
So gesehen war ich der richtige Mann für die Sparkasse und die FDP -Zentrale. Also den Schlagring, den Stichschutz und die Quarzsandhandschuhe eingemottet und sich den Staubsauger geschnappt. Wobei ich in der Praxis doch oft über meinen Schatten springen musste, weil mich Leute ärgern, die mit ihren Sachen nachlässig umgehen und Dreck hinterlassen. Ey, habe ich ein ums andere Mal gedacht, ihr arbeitet doch hier. Ihr müsst doch auf diese Klos gehen. Setzt ihr euch gern auf einen vollgepissten Rand? Ich habe nie verstanden, wie man so schlampig und dreckig sein kann, als Sparkassenangestellter, als Mitarbeiter der FDP -Zentrale. Aber der Reihe nach. Ich bin nämlich nicht gleich anderntags in der Frühe mit Schrubber und Eimer losgezogen. Es kam nämlich was dazwischen. Los Angeles kam dazwischen. Die ganz große Chance kam dazwischen.
Los Angeles.
Ich bin ja nie groß gereist. Bin kein Weltenbummler. Brauchte auch keinen Urlaub. Jahrelang war mein Urlaub an der Wand und später im Hansa-Studio. Eigentlich war ich bis dahin aus Berlin kaum rausgekommen. Die Reisefreiheit, eines der tollen Wendegeschenke, habe ich souverän ignoriert. Leipzig, Ostsee, ja. Ansonsten– wer mich suchte, fand mich in Berlin. So auch eines Tages Estevan Oriol, Designer, Fotograf, Filmemacher und Mitinhaber von Joker Brand. Das ergab sich folgendermaßen:
Irgendwann hatte ich als Joe Rilla für Joker gemodelt. Joker war in Amerika eine feste Größe im Bereich Hip-Hop und Klamotten und deshalb hinter Rap-Stars her, weshalb sie eines Tages bei mir aufkreuzten. » Joe Rilla«, sagten sie, » deine Mucke ist genial, wir geben dir unsere Klamotten und machen Fotos von dir. Für dich ist es Werbung und für uns ist es cool.« Fand ich überzeugend, und ein paar Monate später gab’s in Deutschlands größtem Hip-Hop-Magazin eine Seite mit Joe Rilla in Joker-Klamotten.
Auf diese Weise hatte ich Timo kennengelernt, den Europa-Chef von
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