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So funktioniert die Wirtschaft

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Titel: So funktioniert die Wirtschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Haering
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Abfolge von Wahlrechtserweiterungen nachgewiesen: Die allgemeine Demokratie, die uns heute so selbstverständlich ist, wurde von den damaligen Machthabern gewährt, weil sie Revolutionenund den vollständigen Machtverlust fürchteten. Denn Besitz und Wahlrecht, also wirtschaftliche und politische Macht, waren in der Frühzeit der Industrialisierung noch eng verbunden. Als etwa die bürgerliche französische Revolution 1789 die Monarchie hinwegfegte, achteten die neuen Machthaber sehr darauf, es mit der Demokratie nicht zu übertreiben. Wahlberechtigt war nur, wer mindestens 25 Jahre alt war (was damals mehr als der statistischen Lebensmitte entsprach) und ein Mindestmaß an Besitz nachweisen konnte. In den USA begrenzten die Gründerväter das Wahlrecht auf Grundbesitzer und schrieben das Verbot einer Einkommensteuer in die Verfassung. In Preußen gab es bis Mitte des 19. Jhd. das sog. Dreiklassenwahlrecht, bei dem diejenigen, die ein Drittel des Steueraufkommens bestritten, auch über ein Drittel der Stimmen verfügten usw. Das bewirkte, dass im Durchschnitt etwa sechs Großverdiener so viele Stimmen hatten wie 100 Mitglieder der Bevölkerungsmehrheit in der unteren Einkommensklasse. Auf kommunaler Ebene konnte gelegentlich ein Industrieller allein ein Drittel der Stimmen abgeben.
    Im Verlauf des 19. Jhd. kam es immer häufiger zu Arbeiteraufständen und Revolutionen. Wie Aidt und Jensen (2011) zeigen konnten, gab es Wahlrechtsreformen in Richtung eines umfassenderen und gleichen Wahlrechts bevorzugt dann, wenn in Nachbarländern gerade wieder eine Revolution oder ein größerer Arbeiteraufstand stattgefunden hatte. Aufgeklärte Regenten wie Bismarck schufen Kranken-, Renten- und Arbeitslosigkeitsversicherungen, um die Arbeiter zufrieden zu stellen und für die Einflüsterungen von Revolutionärenunempfänglich zu machen. Arbeiter, die nicht darauf angewiesen waren, jeden Tag eine Arbeit zu finden, um ihr Überleben zu sichern, konnten wählerischer werden. Später wurden Gewerkschaften zugelassen und die Kinderarbeit verboten. All das verbesserte die Verhandlungsposition der Arbeiter.
    Wichtig
    Bevor sie riskierten, dass Arbeiterrevolten sie hinwegfegten, gaben die Eliten in Wirtschaft und Politik lieber etwas Macht ab und bemühten sich um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter.
    Qualifizierte Kräfte statt Tagelöhner
    So lästig das für die Arbeitgeber auf kurze Sicht war, langfristig tat es der Wirtschaftsentwicklung keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Denn mit Arbeitern, die als Kinder eine gute Schulbildung bekommen hatten, konnte man in modernen Industriebetrieben wesentlich mehr anfangen als mit verelendeten Tagelöhnern, die nur einfachste Aufgaben erledigen konnten und die man auf Schritt und Tritt überwachen musste.
    Beispiel
    Als die Pariser Weltausstellung von 1867 zeigte, dass der technologische Vorsprung Englands abschmolz, verlangten die Industriellen vom Staat mehr Engagement für die Bildung. Zuvor hatten sie Bildung für Arbeiter als gefährlich angesehen. (Galor und Moav 2006)
    So kam es, dass die Arbeiterklasse immer wohlhabender und gebildeter wurde und daher mit dem Kapitalismus in seiner gezähmten Form im Großen und Ganzen ihren Frieden schloss.
    Beispiel
    Im Jahr 1914 verdoppelte Ford die Löhne über Nacht auf fünf Dollar, trotz langer Schlangen von Arbeitern vor seinen Autofabriken. Die Austauschrate der Beschäftigten sank drastisch. Sie blieben viel länger im Unternehmen als zuvor und lernten besser mit den Maschinen umzugehen. Die Produktivität stieg deutlich, der Gewinn nahm um 20 Prozent zu.
    Marx hat seine Fehleinschätzung übrigens noch korrigiert. In „Das Kapital“ von 1867 heißt es: „Auf der anderen Seite ist… das Ausmaß der sog. lebensnotwendigen Bedürfnisse selbst das Produkt geschichtlicher Entwicklungen und hängt somit in hohem Maße von dem Stand der Zivilisation eines Landes ab; genauer gesagt, von den Gewohnheiten und dem Grad des Wohlstands, unter denen sich die Klasse der freien Arbeiter herausbildete. Ein Anstieg des Preises der Arbeit bedeutet in der Tat nichts weiter, als dass die Länge und das Gewicht der goldenen Kette, die der Lohnarbeiter bereits für sich selbst geschmiedet hat, ein Nachlassen der Spannung dieser Kette gestatten.“
    Wichtig
    Je komplizierter und anspruchsvoller die

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