So gut wie tot
eine Stunde. Eine Stunde, um sich und seine Firma zu retten!
Die nächste Sirene. Scheiße. Das würde ein gewaltiges Chaos geben. Polizei und Feuerwehr würden die Gegend abriegeln. Er musste unbedingt zu dieser Besprechung, bevor das geschah.
Er musste.
Um jeden Preis.
Nein, er würde sich nicht von irgendeinem Irren, der gerade eben sein Flugzeug demoliert hatte, die Besprechung versauen lassen!
Ronnie stürzte los und zerrte den Rollkoffer hinter sich her.
14
OKTOBER 2007 Im Abwasserkanal herrschte ein unangenehmer Geruch, der am Vortag noch nicht da gewesen war. Vielleicht ein verwesendes Tier, irgendein Nager. Schon als er um kurz vor neun eintraf, war Roy der Gestank aufgefallen, und als er den Kanal jetzt erneut betrat, rümpfte er die Nase. Er hatte zwei Tüten mit heißen Getränken aus einem nahe gelegenen Costa Café dabei, die ihm ein eifriger junger Polizeibeamter besorgt hatte.
Der Regen trommelte unablässig nieder und verwandelte den Boden der Baustelle in Morast. Hier drinnen würde der Wasserstand jedoch nicht steigen. Er fragte sich, wie viel Regen der Kanal fassen konnte. Vor einigen Jahren war die Leiche eines jungen Mannes in den Abwasserkanälen von Brighton gefunden worden. Daher wusste er, dass alle Abflüsse in einen zentralen Kanal mündeten, der bei Peacehaven ins Meer floss. Falls auch dieser Kanal einmal überflutet worden war, waren die Beweisstücke, vor allem die Kleidung des Opfers, vermutlich längst weggeschwemmt worden.
Die Kollegen machten ein paar ironische Bemerkungen, als er ihnen die Getränke brachte, doch Roy ignorierte sie, obwohl er schlecht geschlafen und ständig an das Skelett gedacht hatte. Er verteilte Kaffee und Tee, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass er seinen Leuten das Wochenende verdorben hatte.
Es herrschte reges Treiben. Im Tunnel waren Ned Morgan, der Mann vom Erkennungsdienst, mehrere erfahrene Beamte und Mitarbeiter der Spurensicherung in weißen Anzügen bei der Arbeit. Sie suchten den weichen Boden Zentimeter um Zentimeter nach Schuhen, Kleidungsstücken, Schmuck und allen Fetzen oder Resten ab, die dem Opfer gehört haben konnten. In dieser feuchten Umgebung blieben Leder und synthetische Stoffe am besten erhalten.
Das Team bot einen unheimlichen Anblick, wie es auf allen Vieren in dem düsteren gemauerten Tunnel hockte, umgeben von Schatten und dem Licht der Lampen, die in regelmäßigen Abständen aufgestellt waren.
Joan Major war ebenfalls von Kopf bis Fuß in einen weißen Anzug gehüllt und arbeitete schweigend und konzentriert. Sollte es zu einem Gerichtsverfahren kommen, müsste sie ein präzises 3-D-Modell des Skeletts am Fundort vorlegen. Sie war mehrmals aus dem Kanal und wieder hinein geklettert, weil das Signal ihres GPS-Gerätes nicht funktionierte. Sie benötigte es, um die genauen Koordinaten der Fundstelle zu ermitteln. Nun zeichnete sie die exakte Position des Skeletts auf. Alle paar Sekunden leuchtete das Blitzlicht einer Kamera auf.
»Danke, Roy«, sagte sie geistesabwesend, nahm den großen Caffè Latte entgegen und stellte ihn auf die Holzkiste mit ihrer Ausrüstung, die auf einem Stativ lag, um sie vor Nässe zu schützen.
Grace hatte entschieden, am Wochenende mit einem kleineren Team zu arbeiten und erst am Montagmorgen alle Kräfte zusammenzuziehen. Glenn Branson hatte er freigegeben, was dieser mit unendlicher Erleichterung zur Kenntnis genommen hatte. Noch arbeiteten sie mit angezogener Handbremse, da der Todeszeitpunkt offensichtlich viele Jahre zurücklag. Die erste Pressekonferenz konnte bis Montag warten.
Vielleicht würden er und Cleo es an diesem Abend doch noch zu ihrem Dinner nach London schaffen und etwas von dem romantischen Wochenende retten, das er geplant hatte. Allerdings nur, wenn Joan bis dahin mit den Kartierungs- und Bergungsarbeiten fertig war und der Rechtsmediziner die Autopsie bald durchführen konnte. Das wäre bei Frazer Theobald allerdings nicht einfach. Wo steckte er überhaupt? Sie hatten schon vor einer Stunde mit ihm gerechnet.
Wie aufs Stichwort betrat Frazer im weißen Schutzanzug den Kanal. Er schaute sich argwöhnisch, beinahe verstohlen um wie eine Maus, die Käse wittert. Er war klein und untersetzt, mit ungepflegtem schütterem Haar und einem Hitlerbärtchen unter einem riesigen Riechorgan. Glenn Branson hatte einmal gesagt, mit einer dicken Zigarre wäre er ein perfekter Doppelgänger von Groucho Marx.
Er murmelte entschuldigend, der Wagen seiner Frau sei nicht
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