So gut wie tot
27 PROSPECT EXPRESSWAY. Rechts gelangte man zur 278 WEST VERRAZANO BR., STATEN ISLAND.
Ronnie war wieder tief in Gedanken versunken.
Er spielte die Idee im Kopf durch. Es war eine verrückte Idee. Sicher nur eine Ausgeburt seines Schockzustands. Aber sie hielt sich beharrlich. Und je länger er darüber nachdachte, desto brauchbarer erschien sie ihm. Ein Plan B, falls die Sache mit Donald Hatcook tatsächlich ins Wasser fiel. Vielleicht sogar ein besserer Plan.
Er schaltete das Handy aus.
31
OKTOBER 2007 Entsetzt starrte Abby auf die Spitze des Brecheisens. Sie hebelten die Türen auseinander, zentimeterweise, bevor sie zurückrutschten und sich wieder eng um das Eisen schlossen. Erneut ertönte ein gewaltiges Krachen vom Dach des Aufzugs, als wäre jemand darauf gesprungen. Die Kabine schaukelte, und sie verlor das Gleichgewicht. Die Dose Pfefferspray fiel ihr aus der Hand, während sie sich abzustützen suchte.
Dann sprangen die Türen mit einem metallischen Protestschrei auf.
Nacktes Entsetzen durchflutete sie.
Sie duckte sich, tastete im Dunkeln verzweifelt nach dem Spray. Licht drang herein. Da war die Dose! In blinder Panik griff sie danach. Warf sich nach vorn, ohne hinzusehen, drückte auf den Sprühknopf, zielte auf den breiten Spalt zwischen den Türen.
Ein Paar kräftiger Arme griff herein, riss sie aus dem Aufzug.
Sie schrie, wehrte sich verzweifelt, wollte sich losreißen. Sie drückte noch einmal auf den Knopf, nichts passierte.
»Verpiss dich!«, brüllte sie. »Hau ab!«
»Schon gut, Miss, alles in Ordnung.«
Eine fremde Stimme. Nicht seine.
»Lass mich los!«, schrie sie und trat mit bloßen Füßen nach dem Mann.
Er hielt sie wie in einem Schraubstock. »Miss? Ganz ruhig. Sie sind in Sicherheit. Alles ist gut. Sie sind in Sicherheit!«
Jemand lächelte sie an. Er trug einen gelben Helm. Einen Feuerwehrhelm. Einen grünen Overall mit Leuchtstreifen. Dann hörte sie das Knistern eines Funkgeräts.
Zwei Feuerwehrleute in Helmen standen auf der Treppe über ihr. Ein dritter wartete weiter unten.
Der Mann lächelte beruhigend. »Sie sind in Sicherheit, Schätzchen.«
Abby zitterte. Waren die echt? Oder saß sie in der Falle?
Sie wirkten überzeugend, doch sie hielt die Spraydose weiter umklammert. Ricky war alles zuzutrauen.
Dann entdeckte sie das mürrische Gesicht des polnischen Hausmeisters, der schnaufend die Treppe heraufkam.
»Ich nicht werde bezahlt für Arbeit an Wochenende«, knurrte er. »Ist Schuld von Hausverwaltung. Ich rede Monate von Aufzug! Monate.« Er sah Abby stirnrunzelnd an und deutete mit dem Finger nach oben. Der Nagel war ganz schwarz. »Wohnung 82?«
»Ja.«
»Hausverwaltung«, keuchte er mit gutturaler Stimme. »Taugt nichts. Ich sage jeden Tag, immer wieder.«
»Wie lange waren Sie da drin, Miss?«, fragte ihr Retter.
Er war Mitte dreißig, attraktiv und hätte gut in eine Boy Group gepasst. Seine schwarzen Augenbrauen waren zu schön, um wahr zu sein. Sie schaute ihn argwöhnisch an, fand ihn zu attraktiv für einen Feuerwehrmann. Gehörte er zu Ricky? Sie zitterte so sehr, dass sie kaum sprechen konnte.
»Kann ich Wasser haben?«
Schon hielt sie eine Flasche in der Hand. Sie trank in gierigen Zügen, dass ihr die Flüssigkeit übers Kinn und den Hals hinunter lief. Sie sprach erst weiter, als die Flasche leer war.
»Danke.«
Sie reichte die Flasche weiter, eine unsichtbare Hand nahm sie entgegen.
»Gestern Abend«, sagte sie. »Ich glaube – ich war – ja, seit gestern Abend habe ich wohl in diesem verfluchten Ding gesteckt. Ist heute Samstag?«
»Ja. Zwanzig nach fünf nachmittags.«
»Dann also seit halb sieben gestern Abend.« Sie schaute den Hausmeister zornig an. »Überprüfen Sie denn nicht, ob der verdammte Alarm funktioniert? Oder das Scheißtelefon in dem Kasten?«
»Hausverwaltung.« Er zuckte die Achseln, als trüge diese die Schuld an allem Elend dieser Welt.
»Sie sollten sich besser im Krankenhaus durchchecken lassen«, riet ihr der gut aussehende Feuerwehrmann.
Panik überkam sie. »Nein – nein – mir geht es wirklich gut, danke. Ich – ich wollte nur –«
»Wir rufen einen Krankenwagen.«
»Nein«, sagte Abby entschlossen. »Ich muss nicht ins Krankenhaus.«
Sie betrachtete ihre umgekippten Stiefel, die noch im Aufzug lagen, und den feuchten Fleck auf dem Boden. Riechen konnte sie nichts, aber im Aufzug selbst stank es sicher.
Das Funkgerät knisterte wieder, ein Ruf ging ein. Der Feuerwehrmann meldete sich.
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