So gut wie tot
sie braucht ihren Freiraum und scheißt auf meine Karriere bei der Polizei. Sie geht abends aus, will sich durch die Kinder nicht fesseln lassen, das sei meine Verantwortung. Muss ich spät arbeiten, darf ich für den Babysitter sorgen.«
Grace fragte sich insgeheim, ob Ari wohl eine Affäre hatte, wollte seinen Freund aber nicht noch weiter verunsichern.
»So kannst du nicht weiterleben.«
Branson drehte seine Chipstüte unablässig in den Händen. »Ich liebe meine Kinder. Auf diesen ganzen Scheidungsmist habe ich keinen Bock, dann sehe ich sie nur noch ein paar Stunden im Monat.«
»Wie lange geht das schon so?«
»Seit sie sich die Geschichte mit der Weiterbildung in den Kopf gesetzt hat. Montags hat sie einen Abendkurs in englischer Literatur, donnerstags in Architektur. Dazwischen noch allen möglichen anderen Scheiß. Ich kenne sie gar nicht mehr. Ich dringe nicht mehr zu ihr durch.«
Sie saßen schweigend da, bis Branson sich zu einem Lächeln zwang. »Aber das ist mein Kram.«
»Nein«, erwiderte Roy, obwohl er genau wusste, was ihm bevorstand, wenn Ari ihren Mann erneut vor die Tür setzte. Vor einigen Monaten hatte Glenn vorübergehend bei ihm gewohnt. Das Haus hatte danach ausgesehen, als wäre ein rauschgiftsüchtiger Elefant hindurch getrampelt. »Ich habe das Gefühl, wir stecken da zusammen drin.«
Zum ersten Mal an diesem Abend lächelte Glenn. Dann riss er endlich seine Tüte auf und schaute enttäuscht hinein, als hätte er etwas anderes erwartet.
»Was ist denn nun mit Cassian Pewe, sorry, Detective Superintendent Cassian Pewe?«
Grace zuckte die Achseln.
»Nimmt er dir die Butter vom Brot?«
Grace grinste. »Das hatte er wohl vor. Aber wir haben ihn auf Diät gesetzt.«
50
OKTOBER 2007 Cassian Pewe nahm vorsichtig einen Schluck Tee und zuckte zusammen, als die heiße Flüssigkeit mit seinen Zähnen in Berührung kam. Letzte Nacht hatte er Bleaching-Gel aufgetragen, und am Tag danach waren die Zähne immer sehr temperaturempfindlich.
Er stellte die Tasse ab und sagte: »Eins möchte ich klarstellen. Detective Superintendent Grace ist ein angesehener Polizist. Meine Aufgabe besteht einzig und allein darin, die Wahrheit über das Verschwinden Ihrer Tochter herauszufinden.«
»Wir müssen es unbedingt erfahren«, sagte Derek Balkwill.
Seine Frau nickte. »Nur darauf kommt es uns an.«
»Gut«, sagte er. »Es ist beruhigend zu wissen, dass wir alle am selben Strang ziehen.« Pewe lächelte. »Allerdings sind einige leitende Beamte der Kripo Sussex der Ansicht, dass nie eine ordnungsgemäße Ermittlung durchgeführt wurde. Das ist der Grund, warum man mich hinzugezogen hat.«
Er bemerkte, dass die beiden zustimmend nickten, und wurde etwas kühner. »Ich habe mir die Akte gründlich angeschaut, und es bleiben viele offene Fragen. Ich an Ihrer Stelle wäre mit der bisherigen Arbeit der Polizei nicht zufrieden.«
Die beiden nickten erneut.
»Mir ist nicht klar, weshalb Roy die Ermittlungen leiten durfte, obwohl er persönlich betroffen war.«
»So weit wir wissen, stellte man einige Tage, nachdem unsere Tochter verschwunden war, ein unabhängiges Team zusammen«, erklärte Margot Balkwill.
»Und wer hat Ihnen die Ermittlungsergebnisse dieses Teams überbracht?«, hakte Cassian Pewe nach.
»Na ja, es war Roy.«
Pewe breitete die Arme aus. »Genau da liegt das Problem. Wenn eine Frau vermisst wird, gilt der Ehemann gewöhnlich als Hauptverdächtiger, bis das Gegenteil bewiesen wird. Aus dem, was ich gelesen und gehört habe, scheint Ihr Schwiegersohn hingegen niemals offiziell als Verdächtiger behandelt worden zu sein.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie ihn jetzt verdächtigen?«, fragte Derek.
»So weit würde ich zu diesem Zeitpunkt nicht gehen«, erklärte Pewe aalglatt. »Allerdings bin ich bereit, radikale Maßnahmen einzuleiten, um ihn von jeglichem Verdacht zu befreien. Das wurde bisher versäumt.«
Margot Balkwill nickte. »Das wäre gut.«
Ihr Ehemann stimmte zu.
»Dürfte ich Ihnen eine sehr persönliche Frage stellen? Hat einer von Ihnen jemals das Gefühl gehabt, Roy Grace verberge etwas vor Ihnen?«
Langes Schweigen. Margot runzelte die Stirn, ballte die Hände zu Fäusten und öffnete sie wieder. Es waren raue Hände, die Hände einer Gärtnerin. Ihr Mann saß ganz still da, mit hängenden Schultern, als laste ein riesiges, unsichtbares Gewicht auf ihnen.
»Sie sollten verstehen, dass wir Roy gegenüber nicht feindselig eingestellt sind«, erklärte Margot
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