So habe ich es mir nicht vorgestellt
sich folgsam auf ihrem Stuhl auf und stützte das Gesicht mit den Händen. »Ich sehe eine fahrende Eisenbahn, eine Spielzeugeisenbahn, die irgendwo anfangen muß, aber sie fährt die ganze Zeit, ich weiß nicht, woher sie kommt und wohin sie fährt, ich weiß nur, daß sie wie ein Perpetuum mobile …« Sie hielt inne, seufzte und fuhr fort: »Die Seele steht da, betrachtet die Eisenbahn, während die Eisenbahn fährt, wirklich eine Miniatur im Vergleich zu ihr, die Schienen sind ziemlich schmal, die Seele weiß, daß sie nicht in die Eisenbahn steigen kann, daß sie zwischen den Schienen nicht hindurchlaufen kann, sie versucht, die Bedeutung dieser Wahl zu verstehen, und dann versteht sie wirklich den Hauptpunkt – einen Moment vor dem Verschwinden des Bildes, und legt sich hin. Schauen Sie, so …«, setzte sie plötzlich mit ihrer normalen, heiseren Stimme hinzu, streckte sich nach rückwärts gegen die Stuhllehne, schwenkte die Arme vor und zurück und stützte dann das Kinn auf eine Hand. »Wie ein Junge, der sich auf den Teppich legt und der Eisenbahn zuschaut … und plötzlich versteht die Seele, daß sie zu den Proportionen des Daseins hinuntersteigen muß, der Zug ist sozusagen das Leben, sozusagen ihre Fahrt im Leben jetzt, klein, aber unaufhörlich, und wenn sie so stehenbleibt – in die Wagen kann sie nicht steigen, die sind zu eng –, also eine Sekunde bevor das Bild verschwindet, legt sie sich hin und betrachtet sie. Sind sie gleich hoch? Schauen wir mal, was das bedeutet.« Plötzlich riß sie die Augen auf und klopfte sich an die Seiten und stieß einen triumphierenden Schrei aus. »Verstehen Sie diese Wahl?«
Hila runzelte die Stirn, kräuselte die Lippen, zuckte mit den Schultern und sagte schließlich: »Ungefähr.«
»Ach, das ist ja toll!« rief die Frau und klatschte in die Hände, als habe sie das große Los gezogen. »Schauen Sie! Wenn Sie es schaffen, sich ruhig hinzulegen, zum Beispiel, um die kleinen Dinge des Lebens in der richtigen Perspektive zu betrachten, dann werden Sie verstehen, daß jedes Erlebnis keinen Anfang und kein Ende hat. Das heißt, was man von Ihnen in diesem Leben verlangt, ist, das Leben eines Philosophen zu führen.«
»Von der Seite zuschauen, wie die Dinge sind?« fragte Hila erschrocken.
»Nicht von der Seite«, protestierte die Frau. »Sie von der Seite betrachten heißt auch verstehen, wie sie funktionieren, das ist nichts Passives! Das ist etwas sehr Schöpferisches! Das heißt sich einlassen. Kennen Sie den Ausdruck aus der Therapeutensprache: ein Typ, der sich auf Beziehungen einläßt? Das ist ein kreativer Mensch, der mit anderen in Berührung kommt, er kann ein ausgezeichneter Psychologe sein, ein guter Leiter, denn er versteht das Leben von da aus, wo es anfängt. Er weiß, daß es keinen Anfang und kein Ende hat. Verstehen Sie?«
»Nicht so ganz«, meinte Hila enttäuscht. »Aber ich werde ein andermal kommen und nachfragen.«
»Schätzchen, der Stoff wird nicht umsonst so schwer dargeboten. Sie sollen was lernen.«
»Aber das ist nicht das, was ich …«
»Sehen Sie«, sagte die Frau ernst und vorsichtig: »Sie haben sich weit von der Wahl entfernt. Für wen leben Sie? Sie leben doch vor allem für sich selbst, und dann, wenn es Ihnen gut mit sich selbst geht, geben Sie anderen etwas von diesem Guten ab. Sie sind nicht hergekommen, um einen Dienst anzubieten, sondern Sie sind gekommen, Ihr eigenes Leben zu betrachten, um seine Größe durch die kleinen Dinge zu sehen, durch den fahrenden Zug, das Perpetuum mobile, das Unaufhörliche. Wenn Sie diese Perspektive verstehen, werden Sie Ihr Leben auf der höchsten Ebene führen können, ich meine damit eine Erkenntnisebene, eine mentale Ebene. Verstehen Sie? Sie begreifen das Leben noch nicht. Seine Bedeutung ist, sich den kleinen Dingen anzuschließen. Nach ihrem Hervortreten hätte die Seele Ruhe gebraucht. Sie haben ihr keine Ruhe gegeben! Sie mußte sofort herumrennen, um sich an dem neuen Ort zurechtzufinden, bei Anweisungen zur Energie wird gesagt: uneingeschränkte Ruhe, weil die Seele mit ihren Intuitionen sehr energiereich ist, sehr aktiv, weil es ihr schwerfällt, Anweisungen zu befolgen, und sie nur aus Mangel an anderen Möglichkeiten gehorcht. Alles ist empfindlich, jeder Funke stößt sie nach unten, verstehen Sie? Sie hat also keine Wahl und tritt in den Zustand der Ruhe, der lange andauern kann, man darf sie auf keinen Fall auch nur eine Sekunde zu früh herausziehen, dann war die
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