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So kam der Mensch auf den Hund

Titel: So kam der Mensch auf den Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Lorenz
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die beiden Helden mit gesträubten Haaren und gefletschten Zähnen
     und hatten keinen Zaun! Schlagartig verstummte ihr Bellen. Zögerten sie, überlegten sie? Nein. Wie
ein
Hund machten sie kehrt, rasten Flanke an Flanke nach dem Teil des Gartens zurück, wo der Zaun noch stand, und bellten wutbeflissen
     weiter.

|102| Konflikte um einen kleinen Dingo
    Da ich mir über die Wesensart des Dingos und sein Verhalten zu Haushunden ein Urteil bilden wollte, lag mir daran, ein Dingojunges
     von einer Haushündin aufziehen zu lassen. Die Gelegenheit bot sich, als meine Hündin Senta, Stasis Mutter, und die Dingohündin
     des Schönbrunner Tiergartens gleichzeitig trächtig wurden.
    Um die Vergangenheit des Dingo ist es nämlich merkwürdig bestellt, war er doch, abgesehen von einigen Fledermäusen, das einzige
     nicht zur Unterklasse der Beuteltiere gehörende Lebewesen, welches man bei der Entdeckung Australiens vorfand. Was nun die
     oft diskutierte Frage betrifft, ob der Dingo ein echter Wildhund oder ein verwilderter Haushund sei, schließe ich mich der
     zweiten Meinung an, zumal auch reinblütige Dingo häufig Domestikationsmerkmale wie weiße »Strümpfe«, Stirnblesse und weiße
     Schwanzspitze zeigen. Ein weiterer Hinweis läßt sich aus der Kultur der Aborigines gewinnen: Sie kennen weder Ackerbau noch
     Haustiere und stehen heute kulturell viel tiefer als zur Zeit, da sie den Kontinent besiedelten; denn damals müssen sie ja
     Seefahrer gewesen sein. Sie werden auch den Dingo mitgebracht haben, der in der Folge und mit dem Absinken der Kultur sich
     vom Menschen getrennt hat. Wie zum Kulturverlust mag auch zur völligen Verwilderung des Dingo der gleiche Umstand beigetragen
     haben: daß nämlich viele Beuteltiere sehr langsam und deshalb leicht zu fangen sind.
    So kam ich denn mit meinem rotbraunen Dingokind in der Aktentasche, das keine Merkmale der einstigen Menschenabhängigkeit
     seiner Urahnen hatte, nach Altenberg und ging sogleich auf die Lindenterrasse, wo Senta mit ihrem Wurfe hauste, um ihr das
     australische Kuckucksei unterzuschieben. Der kleine Dingo war inzwischen hungrig geworden, pausenlos pfiff und jaulte er,
     so daß ihn Senta schon von weitem |103| hörte und mit gespitzten Ohren und ängstlichem Gesicht daherkam.
    Eine Hündin kann ja nicht zählen, auch ihr Denkvermögen reicht nicht hin, einzusehen, daß da ein fremdes Hundekind pfeifen
     müsse, weil doch die eigenen im Zwinger versammelt sind. Die aus der Tasche dringenden Hilferufe lösten einfach ihre mütterliche
     Besorgnis aus, und damit galt der unsichtbare Welpe eben für eines ihrer Kinder.
    In der Hoffnung, Senta würde ihn sogleich ins Nest tragen, setzte ich den Dingo auf den Boden. Will man nämlich, daß eine
     Säugetiermutter ein fremdes Kind adoptiert, so soll man es ihr außerhalb des Nestes und in einer möglichst hilfsbedürftigen
     Lage präsentieren, weil das hilflos und frei daliegende Junge den Brutpflegeinstinkt intensiver auslöst als eines im Nest.
     Es kann sein, daß dieselbe Pflegemutter denselben Findling liebevoll einträgt, wenn man ihn außerhalb des Nestes niederlegt,
     ihn dagegen als Eindringling empfindet und auffrißt, wenn sie ihn im Nest zwischen den eigenen Jungen vorfindet.
    Allerdings ist das Eintragen eines fremden Jungen noch keine sichere Gewähr dafür, daß es endgültig adoptiert wird. Zumal
     bei tiefstehenden Säugern, wie Ratten und Mäusen, kommt es sogar sehr häufig vor, daß ein außerhalb des Nestes vorgefundenes
     fremdes Junges zwar zunächst den Eintrage-Trieb auslöst, später aber, wenn es zwischen den eigenen Jungen im Nest liegt, doch
     als Fremdling erkannt und aufgefressen wird.
    Senta schien es eilig zu haben; sie nahm sich nicht einmal Zeit, den Dingo zu beriechen, ob er sozusagen ihres Blutes sei,
     sondern beugte sich gleich mit weit geöffnetem Rachen über das wimmernde Kind, um es mit jenem sicheren Griff zu fassen, mit
     dem Hundemütter den Kopf eines Jungen, das sie tragen wollen, so tief ins Maul nehmen, daß er hinter den Eckzähnen zu liegen
     kommt und dergestalt von ihnen nicht gedrückt werden kann. Da aber schlug ihr der wilde und fremde Geruch entgegen, den der
     Dingo aus dem kleinen Raubtierhaus des Schönbrunner Gartens mitgebracht hatte. |104| Entsetzt fuhr Senta zurück, meterweit, dabei stieß sie die Luft durch das geöffnete Maul, spuckend und fauchend wie eine Katze,
     und näherte sich hernach wieder vorsichtig schnuppernd dem kleinen Dingo. Es

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